Hinweis in eigener Sache: Kapazitätsbedingt wird seitens der Prozessbeobachtung von nun an nur noch eine komprimierte Zusammenfassung des Verlaufs des jeweiligen Hauptverhandlungstages erstellt. Dabei ist es Zufall, dass ein wie bisher gewohnter langer Bericht beim 12. Prozesstag ohnehin nicht möglich gewesen wäre, da die als Tondokument in die Beweisaufnahme eingeführte Aussage von B. – nicht zuletzt wegen seines Dialekts und der Sprechweise – sehr schwer verständlich, in Teilen sogar komplett unverständlich war. So formulierte selbst der als Zeuge vernommene LKA-Beamte, der zu Steffen B.s Vernehmungsteam gehörte, nach dem Anhören der Audiodatei: „Ich habe mich selber schwergetan, mitzukommen.“ Von daher kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass einige für den weiteren Prozessverlauf relevante Inhalte nicht Eingang in den vorliegenden Bericht gefunden haben. Wir bitten das zu entschuldigen.
Wie üblich stellt der Vorsitzende Richter (VR) zu Beginn die Anwesenheit fest. Bis auf die regelmäßig nicht anwesenden RA (Rechtsanwälte) Reulecke und Lober sowie den Sachverständigen Dr. Winckler sind alle Beteiligten erschienen.
Die Vernehmung des Steffen B.
Zur heutigen Sitzung ist der Zeuge Julian B. (28) vom LKA BaWü geladen, der Teil des Ermittlungs- und Vernehmungsteams in Sachen Steffen B. war. Julian B., seit Ende 2012 Polizist und seit Herbst 2016 bei der Kriminalpolizei, wird vom VR als Zeuge belehrt und erläutert auf Frage seinen Zuständigkeitsbereich. Mit der verhandelten Sache ist er seit November 2019 beschäftigt – in einem Dreierteam. Schon vor der Festnahme sei er für den Beschuldigten Steffen B. zuständig gewesen und habe das danach weitergeführt. Sein Erstkontakt zu Steffen B. habe bei der Razzia am 14. Februar 2020 stattgefunden; er habe ihn an diesen Tag auch vernommen. Steffen B. habe Angaben gemacht. Zuerst auf der Couch seiner durchsuchten Wohnung zur aufgefundenen Slamgun, später auf der nahegelegenen Polizeistation in Bernburg.
Das nächste Mal habe er B. am 15. Februar 2020 am BGH bei dessen Vorführung kurz gesehen, aber nicht gesprochen. In Absprache mit der Generalbundesanwaltschaft (GBA) und RA Ried habe er B., der sich zuvor bereits im März und April 2020 in der JVA zur Sache eingelassen habe, dann einen Fragenkatalog in die JVA geschickt, den dieser schriftlich beantwortet habe. Später habe B. auch eine mündliche Vernehmungsbereitschaft signalisiert.
Der Fragenkatalog sei bis zur mündlichen Vernehmung am 19. Mai 2021 in der JVA Burg in Abstimmung mit der GBA dann noch einmal aktualisiert worden. Die Vernehmung sei mit Einverständnis aller Beteiligten tonaufgezeichnet und später dann verschriftlicht worden. An der Vernehmung hätten neben Steffen B. und ihm selbst noch RA Ried sowie zwei LKA-Kolleg*innen teilgenommen. Den Fragenkatalog habe er sich mit seinem Kollegen aufgeteilt; die Kollegin sei dafür zuständig gewesen, Steffen B. genau im Auge zu behalten und seine Körperreaktionen zu beobachten. Alle LKA-Beteiligten hätten aber auch ergänzende Zwischenfragen stellen können.
Politische Einstellung „mitte-rechts“
Nun wird die Audiodatei von B.s Vernehmung abgespielt. Nach dem Verlesen des Vorwurfs und der Vergewisserung, dass es Steffen B.s Eigenangaben zufolge den Umständen entsprechend gut geht, wurden Fragen zur Person Steffen B. gestellt. Dieser berichtete, dass er bis 1999 die Realschule besucht und danach eine Lehre absolviert habe. Zudem habe er eine Ausbildung zur Sicherheitsfachkraft abgeschlossen und sei sowohl in der Sicherheitsbranche als auch im Baugewerbe, zuletzt als Selbstständiger, tätig gewesen.
Auf die Frage nach seiner politischen Einstellung betonte Steffen B., er sei „kein Terrorist“ und auch „kein Rassist“, er sei in keiner Partei. Er sei „früher mal in der NPD“, dann aber „auf dem demokratischen Weg“ gewesen. Er habe auch ausländische Freunde beziehungsweise „gute zwischenmenschliche Beziehungen“ zu „Ausländern“, beispielsweise zu den Betreibern eines Dönerladens und Personen im Fitnessstudio.
Früher habe er mal eine „rechtsextreme“ beziehungsweise „nationalsozialistische“ Einstellung gehabt und auch „mal was gerufen“, später aber nicht mehr. Die Frage, wieso er denn dann allerlei NS-Kram, unter anderem Hakenkreuz- und Hitler-Motive, auf seinem Handy gehabt habe, beantwortete er damit, dass er diesen zugeschickt bekommen hätte, ebenso wie eine Liste mit „Mitgliedern der Antifa“. Feindbilder habe er keine, auch keine linken. Es seien auch keine Aktionen gegen Linke geplant gewesen. Er würde sich politisch als „Mitte rechts“ einordnen.
„Vikings Security Germany“ (VSG)
Die Beamt*innen kamen nun auf B.s Betätigung für die Gruppierung „Vikings Security Germany“ (VSG) zu sprechen. B. bestätigte, VSG-Mitglied zu sein. Man habe sich in Sachsen-Anhalt von den „Soldiers of Odin“ (SoO) abgespalten beziehungsweise diese aufgelöst, weil die SoO eigentlich „unpolitisch“ seien, deren Gründer aber allerlei Nazikram gepostet habe, was auf Kritik gestoßen sei. Somit habe man sich nach einer Abstimmung von den SoO getrennt. Steffen B. sei zum Leader in Sachsen-Anhalt ernannt worden, der Beschuldigte Stefan K. zu seinem Stellvertreter. Später habe er den Vorsitz an Per M. abgegeben und sei fortan nur noch einfaches Mitglied gewesen.
Die VSG Sachsen-Anhalt habe drei „Streifgänge“ durchgeführt, unter anderem im Wohnumfeld ihrer Mitglieder, um für Sicherheit zu sorgen, beispielsweise in dunklen Gassen. Hierbei habe es keine Zwischenfälle gegeben. Finanziert habe mal alles, unter anderem die Westen mit Gruppenlogo, aus der privaten Tasche, regelmäßige Beiträge habe es nicht gegeben.
Auf einem ihm vorgelegten Lichtbild erkannte B. alle vier Personen: sich selbst sowie Per M., Stefan K. und Mario Sch.
Danach wurden vom LKA die Chatgruppen abgefragt, in denen B. Mitglied war. Bis auf
interne VSG-Chats und den Chat „Patrioten Salzlandkreis“ konnte er sich zunächst nicht an weitere Chats erinnern, er habe auch „so gut wie nie mitgelesen“, zumal es auch eine sehr hohe Dichte an Nachrichten gegeben habe, und auch selbst kaum etwas geschrieben. Nach einigen Nachfragen erinnerte er sich, auch in den Telegram-Chatgruppen „Heimat“, „Besprechungszimmer“, „8.2.“, „3.10.19“, „Netzwerk Ost“ und möglicherweise auch „Tutto Ramazotti“ und „Gruppenaufbau“ gewesen zu sein.
Gründer und Chef dieser Gruppen sei zumeist Werner S. gewesen. Zweck der Gruppen sei Austausch und Terminfindungen gewesen, er habe aber teilweise wochenlang nicht reingeschaut. Werner S. habe bestimmt, wer aufgenommen wurde, B. selbst habe aber auch mal „den einen oder anderen hinzugefügt, aber hauptsächlich S.“ Aufnahmekriterium sei „Vertrauen“ gewesen. Es seien unter anderem Videos und Flyer in die Chats gestellt worden. In den Chats sei nicht über Anschläge gesprochen worden, auch nicht über Schusswaffen. Einmal sei ein Axt- und Schwerttraining Thema gewesen, ebenso wie der Umgang mit Pfeil und Bogen. Werner habe mal in den Wald eingeladen zum Axttraining, B. habe aber nicht teilgenommen, auch nicht an anderen Trainings.
Die LKA-Beamt*innen fragten nun zur finanziellen Situation von Steffen B. Er habe Schulden, so B. Er habe alles noch Vorhandene in sein neues Trockenbau-Gewerbe investiert und zuletzt 1.500 bis 2.000 Euro im Monat verdient, abzüglich Schuldenabtragung. Die Beamt*innen sprachen auch einige Kontobewegungen an, zum Beispiel regelmäßige NPD-Mitgliedsbeiträge. B. beteuerte, er sei vor fünf bis sechs Jahren mal Mitglied gewesen, aber dann ausgetreten. Sein Konto sei gepfändet worden, und er habe zeitweise keinen Zugriff gehabt, das sei dann weitergelaufen: „Ich bin nicht mehr Mitglied, habe mich aber nicht gekümmert.“ Einige andere Ausgaben – mehrere Ausgänge über je 500 Euro, einen Eingang über 280 Euro – erklärte er mit der Rückzahlung von Schulden und dass er für einen Bekannten Muskelaufbaupräparate mitbestellt habe.
Das Treffen der „Soldiers of Odin“
B. bestätigte auf Frage, 2018 an einem SoO-Treff teilgenommen zu haben. Er sei in der SoO-Facebook-Gruppe gewesen und dann von Werner S. angeschrieben und eingeladen worden. Bis zu dem Treffen habe er Werner S. nur über die Facebook-Gruppe gekannt. Das Treffen habe an einem großen See [dem Wolfsee in Bayern] stattgefunden und sei vermutlich von Werner S. organisiert worden. Teilgenommen hätten neben ihm auch Stefan K., Mario Sch., Werner S. und vermutlich auch Frank H. Das Treffen habe mit etwa 40 bis 50 Personen nachmittags und abends stattgefunden; man habe gegrillt, getrunken, sich ausgetauscht und eine Gedenkminute für verstorbene Mitglieder abgehalten. Er sei rumgegangen und habe mit Leuten gesprochen, darüber, „was wir so machen, Streifgänge“. Er habe auch mit Werner S. gesprochen, dieser sei sehr freundlich gewesen. Über Waffen oder Anschläge sei auf dem Treffen nicht gesprochen worden, es sei auch kein Geld gesammelt worden. Am nächsten Vormittag sei er wieder abgereist. Die SoO seien „völlig unpolitisch, so wie VSG auch“. Beide Gruppen würden auch keine Demos veranstalten.
Die Ermittler*innen legten B. ein Gruppenbild von genanntem Treffen vor und wollten wissen, wen B. darauf erkennen könne. B. erkannte André B., Werner S., Mario Sch., Frank H. und sich selbst. Einige weitere Personen benannte er mit Vornamen.
Von der Berliner Demo zum Treffen an der Tankstelle
Anschließend ging es in dem aufgezeichneten Verhör um die extrem rechte Demonstration am 3. Oktober 2019 in Berlin. Werner S. habe eine Chatgruppe ins Leben gerufen aus diesem Anlass, so B., um Absprachen für eine gemeinsame Teilnahme zu treffen. In Berlin habe er auch Tony E. kennengelernt, berichtete B., er sei zusammen mit Stefan K. und Per M. hingefahren. Als Einzelpersonen, also privat, nicht etwa als VSG, also ohne Kutten. Die VSG nehme nicht an Demos teil.
Auf der Demo habe Werner S. mit der „Bruderschaft Deutschland“ beziehungsweise mit Ralf N. gesprochen, Frank H. sei auch vor Ort gewesen. Die BSD sei ihm, so Steffen B., in Berlin „zu extrem“ aufgetreten. Er verwies auf deren einheitliche Uniformierung und Fahnen. Auf eine Frage gibt er an, mit der BSD und den „Wodans Erben Germanien“ (W.E.G). habe die VSG nichts zu tun.
B. wurden nun Lichtbilder aller ursprünglich 13 Beschuldigten vorgelegt. Wer denn auf der Demo gewesen sei, wollten die LKA-Beamt*innen wissen. Nummer 2 [Michael B.], 8 [der verstorbene Ulf R.], 12 [Wolfgang W.] und 13 [Thorsten W.] würden ihm nichts sagen, so Steffen B. [Beschuldigter Nummer 1]. Tony E. [Nummer 3], Frank H. [Nummer 4], Stefan K. [Nummer 5], die Nummer 7 [Thomas N.], Werner S. [Nummer 9] und Nummer 11 [Marcel W.] seien da gewesen, bei der Nummer 6 [Markus K.] sei er sich nicht sicher. Zur Anwesenheit der Nummer 10 [Paul-Ludwig U.] äußerte Steffen B.: „Nicht, dass ich wüsste.“
Zudem wurden B. die Gruppenfotos vom Brandenburger Tor und Berliner Hauptbahnhof vorgelegt.
Nach der Demo habe man sich mit einem Teil der Leute außerhalb von Berlin noch auf einer Autobahnraststätte getroffen. Die meiste Zeit habe er (B.) dort mit Stefan K. und Per M. an einem separaten Tisch gesessen und nicht mitbekommen, worüber die anderen gesprochen hätten. Diese Äußerung wurde von den BKA-Beamt*innen stark in Zweifel gezogen. Wieso man sich denn 45 Fahrminuten nördlich von Berlin, also abseits der Heimfahrtroute, mit den anderen getroffen, aber dann nicht miteinander gesprochen hätte? Das sei „unglaubwürdig“. B. bestand aber auf diese Version. Ob ein Heiko vom „Freikorps“ teilgenommen habe, wollte das LKA wissen. B. wusste es nicht, den kenne er nicht. Es hätten Leute teilgenommen, die bereit gewesen seien, etwas zu machen. Für ihn selbst hätte „was machen“ Demos und Plakate bedeutet. Jedenfalls etwas „Demokratisches“.
Kurz vor der Abreise habe er sich draußen noch mit Werner S. unterhalten. Über Anschläge sei nicht gesprochen worden. Er habe aber Werner S. erzählt, dass er von Mario Sch. eine Slamgun bekommen habe, und S. ein Foto davon gezeigt, sowie ihm am nächsten Tag wunschgemäß Fotos geschickt. Werner S. habe aber keine Slamguns bei ihm bestellt. Und er habe auch später keine Slamguns für Werner S. bei Mario Sch. abgeholt. Und habe auch nicht mitbekommen, ob Mario Sch. direkt an Werner S. geliefert habe. [Werner S. hatte einem abgehörten Telefonat zufolge zehn Slamguns für sich und andere besorgt.]
Das Treffen in Minden
Nun ging es um das Treffen in Minden und die Frage, wer von den Beschuldigten auf den Lichtbildern daran teilgenommen habe – und wo genau am Tisch die jeweilige Person gesessen habe. Tony E., Frank H., Stefan K., Thomas N., Werner S., Paul-Ludwig U., Thorsten W. sowie die Nummern 6 [Markus K.] und 11 [Marcel W.] seien anwesend gewesen, an die Nummern 2 [Michael B.], 8 [Ulf R.] und 12 [Wolfgang W.] könne er sich nicht erinnern, beziehungsweise seien diese nicht vor Ort gewesen.
B. gab an, den genauen Grund für das Treffen in Minden nicht gekannt zu haben. Es habe zuvor zwei gescheiterte Anläufe für ein Treffen gegeben. B. sei davon ausgegangen, dass es um Plakate, Flyer und Demonstrationen gehen sollte. Er habe Stefan K. angesprochen, weil er nicht habe alleine fahren wollen. Eigentlich hätte auf Vorschlag von Tony E. Per M. mitfahren sollen, aber der sei verhindert gewesen. Werner S. habe gefragt, ob Sven [gemeint sein könnte Sven G.] nach Minden mitkomme. Aber auch das sei wegen Kinderbetreuung nicht möglich gewesen. Er (B.) habe sich gefreut, Werner S. mal wiederzusehen. Der sei ihm sympathisch gewesen, ein freundlicher Mensch mit Ausstrahlung.
Wer will „offensiv“ agieren und wer „defensiv“?
Wieso denn die Handys bei dem Mindener Treffen weggelegt worden sein, hakten die LKA-Ermittler*innen nach. Antwort: „Damit niemand mithören kann.“ Jemand hätte das angesagt, vermutlich Werner S. Steffen B. berichtete auf Frage, ob über die Teilnahme einer Person [Thorsten W.] abgestimmt worden sei, ihm selbst sei das egal gewesen, Werner S. und Paul-Ludwig U. hätten dagegen gestimmt, dass diese Person bleiben darf. Ob noch mehr Leute als die Anwesenden eingeladen gewesen wären, habe er nicht gewusst.
Werner S. habe das Treffen eröffnet und eine Vorstellungsrunde angeleiert. Später habe er (B.) dann geäußert, dass er wegen Demos, Plakaten und so gekommen sei, er sei aber sofort von Werner S. unterbrochen worden mit der schroffen Ansage, dass man über so etwas lange hinaus sei. Man müsse stattdessen ein Exempel statuieren und Geschichte schreiben. Paul-Ludwig U. habe vorgeschlagen, Anschläge auf Moscheen zu verüben, zum Beispiel in Köln. Er, B., habe den Eindruck gehabt, dass sich S. und U. vorher abgesprochen haben könnten. Er habe sich gegen ein solches Vorhaben ausgesprochen und sich in einer „offensiv“/„defensiv“-Abfrage bezüglich einer möglichen Handlungsbereitschaft zu einer defensiven Vorgehensweise bekannt, ebenso wie Stefan K., Tony E. und Thorsten W. Offensiv („ich beteilige mich an Anschlägen“) hätten Frank H., Markus K., Thomas N., Werner S., Paul-Ludwig U. und mit Einschränkung („an die Familie denken“) Marcel W. werden wollen.
Chef beim Treffen sei Werner S. gewesen, aber auch U. habe viel gesprochen. Es sei gesagt worden, dass Verräter bestraft würden. Er habe auf einmal Angst vor Werner S. gehabt: „Der Ton hatte sich total geändert. Ich kannte den so nicht.“ Er habe dann beim laufenden Treffen den Raum verlassen und sei auf die Toilette gegangen, „sacken lassen“. Als er habe zurückgehen wollen, sei er noch von Thomas N. aufgehalten worden, der ihm etwas gezeigt habe im Büro und mit dem er noch über den „Schutz der Familie“ und „Verstecke“ gesprochen habe. Als er dann wieder bei den anderen gewesen sei, sei Stefan K. raus zum Rauchen gewesen. Das Treffen sei aber noch weitergelaufen.
„Vermutlich nur Gerede vom Bürgerkrieg“
Es sei über Anschläge auf kleine Moscheen mit wichtigen Imamen gesprochen worden. Frank H. habe sich dem Vorschlag von Werner S. angeschlossen. U. habe vorgeschlagen, mit Uzis reinzugehen, um Moslems zu töten. Frank H., Werner S., Paul-Ludwig U. und Marcel W. seien eigentlich immer einer Meinung gewesen, aber Marcel W. habe nur wenig gesagt. Er, B., sei geschockt gewesen und habe gesagt, dass er da nicht mitmachen werde. „Frauen und Kindern was zu tun, geht gar nicht.“ Er habe sich gesagt: „Hauptsache raus und nichts mehr mit zu tun haben.“ Aber er habe auch nicht auffallen wollen. Bald danach seien er und Stefan K. abgereist. Auf der Rückfahrt habe man nicht über das Treffen gesprochen – was das LKA als „unglaubwürdig“ bezeichnete. Er habe auch sonst mit niemandem über das Treffen gesprochen. Eventuell wäre er ja besser zur Polizei gegangen, gesteht B. „Aber für mich kam das nicht so rüber, als ob die das sicher machen. Vermutlich nur Gerede vom Bürgerkrieg.“ Zurück in ihrer Heimatstadt sei man einkaufen gewesen und dann zu einer Geburtstagsparty gegangen.
Die LKA-Beamt*innen hakten an dieser Stelle nach: Wieso B. denn nicht sofort gegangen sei? Der Antwort von B., dass er das doch um 15 Uhr nach nur einer Stunde Gespräch gemacht habe, widersprachen sie. B. und K. seien erst etwa 1,5 Stunden nach 15 Uhr abgereist. [Das Treffen in Minden wurde überwacht, die Polizei notierte, wer wann kam und ging.]
Zudem hakte das LKA zu Tony E. nach, da B. angab, dass dieser immer gesagt hätte, er wolle mit Anschlägen wegen seiner Kinder nichts zu tun haben. In seiner schriftlichen Aussage habe B. angegeben, dass S. und E. immer einer Meinung gewesen seien und dass E. immer genickt habe, auch zu Anschlägen auf Moscheen und Bürgerkrieg. B. blieb jedoch bei seiner Darstellung.
Waffen zum „Schutz der Familie“
Nach den Waffenwünschen der in Minden anwesenden Personen befragt, gab B. an, dass Tony E., Stefan K., Markus K. und Thorsten W. [eventuell nannte er hier auch Ulf R.] keine Waffenwünsche geäußert hätten, ebenso wie er selbst. S. habe ihn (B.) auf dem Mindener Treffen auf Waffenbeschaffung angesprochen und ihn gefragt, ob er was besorgen könnte. S. habe ja gewusst, dass er über Mario Sch. Slamguns habe besorgen können. Es sei dabei um Slamguns zum „Schutz der Familie“ gegangen. Er habe weder ja noch nein gesagt und Angst gehabt. Seine abendliche Daumen-hoch-Message an Werner S. sei aber keineswegs eine Bestätigung gewesen, dass der Ankauf von Waffen eingefädelt worden sei. [Paul-Ludwig U. beispielsweise hatte im Verhör erzählt, ein „Daumen hoch“ sei als Zeichen für einen bestätigten Waffendeal verabredet worden.] Er habe keine Bestellung getätigt. Das sei ihm zu heiß gewesen, damit habe er nichts zu tun haben wollen.
Was denn eine Slamgun kosten würde („25 Euro“) und wieso er bei einem solchen Preis erforderliche 50.000 Euro genannt hätte, wollten die LKA-Beamt*innen wissen. [In anderen Verhören war nicht nur die Rede von Slamguns, sondern auch von Langwaffen, Maschinenpistolen und Handgranaten, was den Preis von 50.000 Euro erklären würde.] B. gab an, eine fiktive Zahl genannt zu haben, die angeblich nötig sei. Frank H. habe zudem sechs Makarows in Tschechien besorgen wollen.
Geldzusagen hätten auf jeden Fall Frank H., Thomas N. Werner S. und Thorsten W. gemacht. Markus K. habe finanzielle Schwierigkeiten angemerkt, Paul-Ludwig U. einen Zuschuss der „Bruderschaft“ in Aussicht gestellt. Er selbst, Tony E., Stefan K. und Ulf R. hätten nichts zugesagt. [Bei einigen der Anwesenden konnte sich B. offenbar nicht mehr erinnern.]
Das LKA-Team wollte zudem wissen, wofür denn die von Werner S. angebotenen vermeintlich abhörsicheren Telefone aus Italien benötigt wurden. Davon habe ja jeder eins haben wollen. Steffen B. antwortete, dass er das nicht wisse, er habe jedenfalls eins haben wollen.
B.s Einschätzung anderer Beschuldigter
Auf Frage antwortete B., er habe Werner S. 2018 als freundlichen und sympathischen Mann kennengelernt und danach sporadisch Kontakt zu ihm über Chats gehabt. S. habe sich dann später bei ihm mal gemeldet und gefragt, ob er jetzt bei den „Vikings“ sei. S. sei sehr selbstsicher aufgetreten. Erst in Minden habe er bemerkt, wie S. drauf sei. Vorher sei er ganz „normal“ gewesen. Manchmal habe er (B.) für S. Personen gecheckt, die an einer Mitwirkung interessiert gewesen seien.
Zu Tony E. befragt, antwortete B., dieser sei „zurückhaltend“ und „vorsichtig“. Er habe wenig gesprochen. Er, B., schätze ihn als rechte Hand von Werner S. ein, weil er die Termine und Orte geplant habe. E. und S. hätten sehr vertraut gewirkt. Er, B., habe E. erstmals am 3. Oktober 2019 in Berlin getroffen.
Auf die Frage nach Thomas N. gab B. an, dieser sei „zurückhaltend“, habe ein „bisschen was am Kopf“ und immer von „Walhalla“ gesprochen. Marcel W. und Frank H. hätten auch auf Germanisch gemacht. Beim Treffen in Minden sei N. hauptsächlich als „Gastgeber“ aufgetreten.
Zu Frank H. befragt, antwortete B., er habe mit H. zum ersten Mal in Minden gesprochen und kenne den nicht. In Minden sei sich H. immer mit S. und U. einig gewesen und „schien Bescheid zu wissen“. Er sei „selbstsicher“ aufgetreten. „Ich weiß aber nicht, wie er tickt.“
Bei der Vorlage der Lichtbilder der Beschuldigten betonte B. noch einmal, dass er die Nummer 2 (Michael B.) und 12 (Wolfgang W.) überhaupt nicht kenne, die Nummer 6 (Markus K.) könnte in Berlin dabei gewesen sein.
B.: Rekrutierer und Waffenbeschaffer?
Die LKA-Beamt*innen sprachen zudem B.s Rolle als möglichen „Rekrutierer“ für die „Gruppe S“ in Sachsen-Anhalt an. Sven G. und Per M. hätten zuerst mitfahren sollen, letztendlich habe er Stefan K. mitgebracht. Eventuell hätte ja auch Mario Sch. mit dabei sein sollen. B. wies diese Vermutung, Personen rekrutiert zu haben, von sich. Per M. habe auf Vorschlag von Tony E. mitkommen sollen. Mario Sch. sei nie geplant gewesen für Minden. Möglicherweise sei der aber für das im Januar abgesagte Treffen im Spiel gewesen.
Auf Nachfrage antwortete B., dass Mario Sch. ihm von sich aus erzählt habe, dass er Slamguns bauen könnte. Daraufhin habe er, B., eine bestellt. „Weiß nicht, warum. Bescheuert, nie ausprobiert, dann vergessen.“ Das LKA legte nach: „Wir wissen, dass Sie über Herrn André B. Waffen besorgen!“ B: „Stimmt nicht.“ André B. kenne er von den „Soldiers of Odin“. Der sei auch bei den „Vikings“. Er, Steffen B., habe nie bei André B. Waffen kaufen wollen oder gekauft.
Nach einer Unterbrechung der Vernehmung und Besprechung mit seinem Verteidiger RA Ried gab Steffen B. folgende Erklärung ab: „Ich weiß, dass [André] B. Waffen anbietet, aber ich habe nie welche bei ihm gekauft. Auch von [Stefan] K. und [Mario] Sch. weiß ich das nicht.“
Auch Steffen B. wurden 22 Lichtbilder nicht angeklagter, aber offenbar relevanter Personen vorgelegt. Zu folgenden wusste er etwas zu sagen: Nummer 3 sei André B., Nummer 4. „war eventuell in Berlin“, Nummer 9 „war in Berlin mit, ich glaube auch an der Tankstelle“, Nummer 11 „ist bei der ‚Bruderschaft‘“, Nummer 14 „war mit in Berlin“. Außerdem benannte er Person Nummer 15 als Per M., Nummer 16 als Ralf N. und Nummer 20 als Mario Sch.
Zum Schluss der Vernehmung wurde B. gefragt, ob er noch etwas zur Sache sagen möchte. B. sagte: „Ich hoffe, dass sich das aufklärt und dass ich wieder zu meiner Familie kann. Ich habe nicht gewusst, was da laufen soll in Minden.“ Damit endete die Vernehmung.
Erklärungen der Verteidiger*innen
[Einige relevant erscheinende Erklärungen der Verteidiger*innen an diesem Prozesstag:]
RA Mandic drückt zum wiederholten Mal sein Unverständnis darüber aus, dass sein Mandant Michael B. auf der Anklagebank sitze. Steffen B. habe ihn nicht identifizieren können, kenne ihn nicht einmal. Michael B. habe lediglich am „Survival-Training“ an der Hummelgautsche teilgenommen. In den Chats sei auch nicht über Waffen gesprochen worden. Möglicherweise hätten ja wenige in der Gruppe gewalttätige Aktionen im Auge gehabt, das treffe aber auf die meisten nicht zu. Sein Teamkollege RA Berthold glaubt zu wissen, dass eine Gruppenbildung „wenn überhaupt, dann frühestens in Minden“ stattgefunden habe.
Wolfgang W.s Verteidigerin RAin Rueber-Unkelbach kritisiert die sehr „hemdsärmelige“ Befragung durch den LKA-Beamten M. Sie spricht von einer „unsauberen Vernehmungsmethodik“. Andere Verteidiger*innen schließen sich dem an.
Frank H.s Verteidiger RA Herzogenrath-Amelung sagt, es sei eher zufällig, dass Steffen B. in Minden gewesen sei. Er habe Stress mit seiner Partnerin gehabt und mal raus gewollt, aber nicht alleine, deswegen habe er K. gefragt. Zudem weist der RA darauf hin, dass Paul-Ludwig U. die Vorschläge zu Moscheeanschlägen und dem Einsatz von Handgranaten und Uzis eingebracht habe. U. sei es egal gewesen, ob auch Kinder getötet werden. Die Waffen, über die gesprochen worden seien, hätten dem „Schutz der Familie“ am Tag X dienen sollen. Es hätten auch nur wenige Personen Geld angeboten und Waffen haben wollen. Interessant sei auch, dass Steffen B. gesagt habe, dass ihm das nicht so vorgekommen sei, dass das alles ernst gemeint gewesen sei und umgesetzt würde. Darum sei er [nach dem Treffen] auch „ganz normal“ zu einer Geburtstagsfeier gefahren.
RA Hofstätter, Verteidiger von Tony E., hebt ebenso auf die Rolle von U. ab. Möglicherweise habe sich das aktive Gespräch auch nur zwischen drei Personen abgespielt. Bemerkenswert sei, dass Tony E. überhaupt nicht vorkomme. Es gebe keinen Hinweis, dass E. sich der Gruppe angeschlossen habe: „Im Gegenteil, er hat laut nein gesagt.“ Das habe den Ermittlern nicht gepasst, weswegen sie zu „Taschenspielertricks“, dem Abfragen von angeblich belastbaren Körperreaktionen [er meint wohl das angebliche Kopfnicken], gegriffen hätten. Steffen B. schulde E. auch nichts und habe sich mit seiner Aussage zudem keinen Gefallen getan.
RA Berthold bewertet Steffen B.s Aussagen als sehr differenziert und glaubwürdig. B. habe Werner S.‘ Wandel beschrieben: „Da hat sich was geändert.“ Und nur drei Personen seien sich einig gewesen: Werner S., Paul-Ludwig U. und Frank H. Michael B. sei weder in Minden noch in Berlin und auch nicht am Wolfsee gewesen. Slamguns für 25 Euro seien als Angriffswaffe zudem völlig untauglich, ebenso [Kleinkaliber]Gewehre mit Kaliber 22. Das seien keine Waffen, mit denen man Moscheen und Menschenmengen angreifen könnte.
Der VR erläutert zum Schluss des Hauptverhandlungstages sein weiteres Vorgehen: Am nächsten Tag werde es erst einmal um die Durchsuchung bei Werner S. gehen. Der Zeuge Julian B. vom LKA sei dann anschließend noch einmal dran zum Thema Vernehmung von Steffen B.
Ende des Hauptverhandlungstages um 17:38 Uhr.