Prozesstag 13: „Eine sympathische Durchsuchung“ bei Werner S.

Beim 13. Prozesstag am 23. Juni 2021 stand im Verfahren gegen die „Gruppe S“ zunächst die Hausdurchsuchung am 14. Februar 2020 beim Angeklagten Werner S. im Fokus. Hierzu wurde ein Beamter des LKA Baden-Württemberg als Zeuge geladen. Dieser schilderte die Hausdurchsuchung als außergewöhnlich, da Werner S. sehr gelassen, entspannt, kommunikativ, selbstbewusst, aber punktuell auch etwas hilflos gewirkt habe. Zudem habe er seine Ängste vor Zuwanderung zur Sprache gebracht. Darüber hinaus wurde die Befragung des Ermittlers Julian B. vom LKA Baden-Württemberg vom Vortag fortgesetzt. Dabei ging es um die Vernehmung des Angeklagten Steffen B. Gegen Ende des Verhandlungstages beantragte RA Becker, dass die Begutachtung des Mitangeklagten Paul-Ludwig U. audio-visuell aufgezeichnet werden möge, um so seine Glaubwürdigkeit besser prüfen zu können. U. bekundete, unter diesen Bedingungen nicht mehr bereit zu sein, sich begutachten zu lassen.

Der 13. Verhandlungstag startet gegen 9.09 Uhr mit der Überprüfung der Anwesenheit durch den Vorsitzenden Richter (VR). Anwesend sind dieselben Verfahrensbeteiligten wie am Vortag. Hinzu kommt der Sachverständige Dr. Winckler [siehe 3. Prozesstag]. Paul-Ludwig U. bekundet über seine Verteidigung seine Bereitschaft, sich von Winckler begutachten/explorieren zu lassen.

 

Der für heute geladene Zeuge wird belehrt. Timo O. ist Hauptkommissar im LKA Baden-Württemberg. Er verfügt über eine allgemeine Aussagegenehmigung. Seit 1993 ist er als Polizist tätig, seit 2017 arbeitet er für das LKA. Bei der „Soko Valenz“ [die gegen die „Gruppe S“ ermittelte] war er seit Beginn dabei, anfangs als Finanzermittler. Später bestand seine Aufgabe darin, elektronische Beweismittel auszuwerten beziehungsweise diese Auswertung zu koordinieren oder zu delegieren.

 

Zu Beginn ist es nach Aussage von Timo O. normal, dass Finanzermittlungen laufen. Danach sei er für die Durchsuchung beim Angeklagten Werner S. zuständig gewesen. Bei der Hausdurchsuchung sei er selbst – gemeinsam mit Kolleg*innen – dabei gewesen. Unterstützt worden seien sie von Kolleg*innen aus Bayern. Es hätten zwei Durchsuchungen stattgefunden: eine in Mickhausen, bei der er vor Ort gewesen sei, und eine im etwa 17 km entfernten Bobingen [wo Werner S. eine Art Lager angemietet hatte]. Vor der Hausdurchsuchung habe er den Beschuldigten S. nie getroffen. Nach der Hausdurchsuchung sei man gemeinsam nach Augsburg zur Vernehmung gefahren. Werner S.‘ RA Dimpfl habe hierfür seine Kollegin Angino geschickt.

 

Ablauf der Hausdurchsuchung bei Werner S.

Der VR befragt den Zeugen O. im Folgenden zum Ablauf der Hausdurchsuchung und bittet O., den Ablauf der Durchsuchung zu schildern. Nach Aussage von Herrn O. ging das SEK „auf seine Art und Weise“ um 6 Uhr – die exakte Minute wisse er nicht mehr so genau – in das Haus. Danach seien Sprengstoffspürhunde sowie Bargeldspürhunde zum Einsatz gekommen. Nachdem das SEK das Haus und die darin befindlichen Personen gesichert habe, hätten das LKA BaWü und bayrische Kolleg*innen übernommen. Der Zeuge O. gibt an, zusammen mit seinem Kollegen Herr N. direkt zum Beschuldigten Werner S. gegangen zu sein und ihm den Tatvorwurf bezüglich des „Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung“ eröffnet zu haben. Er habe ihn über seine Rechte aufgeklärt und über den Einsatz der Spürhunde informiert. S. habe geantwortet: „Das kann nicht sein!“ Den Durchsuchungsbeschluss, so O., habe er S. jedoch erst gegen 6.30 Uhr ausgehändigt, nachdem man S.‘ Handfesselung von hinten nach vorne gewechselt habe.

 

Werner S. reagierte entspannt auf die Durchsuchung

Der Angeklagte Werner S. habe auf die Hausdurchsuchung „ziemlich gelassen“ reagiert, wie auch die beiden anderen im Haus lebenden Personen, Frau T. und Herr M.. Den VR interessiert, ob S. die Tragweite des Vorwurfs realisiert habe. Dem Zeugen fällt es schwer, das einzuschätzen. Bei ihm sei die Reaktion des Herrn S. so angekommen, als habe er es nicht richtig wahrhaben wollen. Er habe immer mal wieder angefangen zu erzählen und auch die Frage gestellt, was er denn jetzt machen solle. Daraufhin habe er, O., gesagt, dass das S.‘ Entscheidung sei. Die Vorwürfe seien jedoch erheblich, und es könne Sinn machen, einen Anwalt hinzuzuziehen.

Der VR hakt bezüglich der Reaktion von Herrn S. nach. Er könne sich eine ganze Bandbreite von Reaktionen bei einem SEK-Einsatz vorstellen. „Wie hat Herr S. auf Sie in dieser Situation gewirkt?“ Der Zeuge O. erläutert, dass normalerweise „mehr Aggressivität drin“ sei, wenn das SEK kommt. Aber Herr S. habe es – wie auch die anderen Bewohner*innen – relativ locker hingenommen, dass eine Durchsuchung stattfindet. Niemand sei durchgedreht, man haben auch keinen Arzt gebraucht. S.‘ Mitbewohnerin T. sei mehr über den Tatvorwurf gegen Herrn S. als über die Hausdurchsuchung außer sich gewesen. Sie habe gesagt, dass sie Werner S. das nicht zugetraut hätte. Die Durchsuchung habe bei ihm, O., „einen bleibenden Eindruck hinterlassen“, weil man im Vorfeld nicht gewusst habe, wie das „ausgeht“ und ob dabei Personen zu Schaden kommen würden. Der Verlauf des Einsatzes sei schwer vorhersehbar gewesen. Werner S. sei jedoch „sehr entspannt“ geblieben.

 

„Ich soll die Babbel halten“

Nachdem die Durchsuchungskräfte den Einsatz übernommen hätten, seien Werner S. die Hände nach vorne hin mit Handschellen gefesselt worden, damit er sich etwas habe anziehen können. Dies sei nach Einschätzung von Herrn O., dessen Kollege Herr N. sich auch im Raum befunden habe, machbar gewesen. Herr S. habe sich hingesetzt und den Durchsuchungsbeschluss gelesen. Als er den Namen des Beschuldigten Michael Heinrich B. gelesen habe, habe er geäußert: „Hä, Heinrich, den kenn ich nicht.“

Der VR möchte vom Zeugen O. wissen, wie er mit Äußerungen des Beschuldigten während des Einsatzes umgegangen sei. Er fertige, so O., immer im Nachgang eines Einsatzes einen Vermerk aus seiner Erinnerung heraus an. Er habe den Vermerk zum Einsatz am Tag nach dem Einsatz angefertigt, also am 15. Februar 2020.

„Haben Sie in Erinnerung, was er dann gesagt hat?“, möchte der VR nun wissen. Zeuge O. überlegt zunächst, ob er Herrn S. gesagt habe, dass dieser sich gut überlegen möge, ob und was er während der Durchsuchung sagt. Die Gesprächsatmosphäre sei – „lustig wäre der falsche Begriff“ – gut gewesen angesichts der belastenden Situation einer Hausdurchsuchung. Es habe in dem Zeitraum, in dem S. den Durchsuchungsbeschluss gelesen habe, immer wieder auch Gesprächssituationen gegeben. Der VR verweist auf eine Aussage, die laut Vermerk um 7.10 Uhr von Werner S. getätigt worden sei: „Das, was Sie suchen, finden Sie in Bobingen.“ O. bestätigt das: Auf Nachfrage, was denn da zu finden sei, habe Werner S. geantwortet: „Die Waffe.“ Um 7.28 Uhr habe Werner S. über O.s Diensthandy mit S.‘ Anwalt RA Dimpfl telefoniert. Zuvor habe O. die Verbindung hergestellt und sich vergewissert, eben diesen RA am Telefon zu haben. Auf Frage des VR, was der RA denn gesagt habe laut W., antwortet O.: „Ich soll die Babbel halten.“

O. gibt an, Werner S. mehrfach darauf hingewiesen zu haben, dass alles, was er sage, notiert werde. Obwohl er einige Fragen gehabt habe oder manche Dinge gerne gefragt hätte, habe er ihn in der Situation jedoch nicht vernommen. Stattdessen habe er darauf hingewiesen, dass Werner S. gegenüber der Polizei nichts sagen müsse.

 

Werner S. spricht von Selbstverteidigung

Werner S. habe, so O., beim Lesen des Durchsuchungsbeschlusses mit dem Kopf geschüttelt. Das sei nicht so, er sei kein Nazi. Ein Kollege habe bei der Durchsuchung in S.‘ Schlafzimmerschrank ein Bild von Adolf Hitler gefunden, und ihm, O., von dem Fund berichtet. Er, O., habe das aber falsch verstanden und gedacht, es sei das Buch „Mein Kampf“ gefunden worden. Damit habe er S. konfrontiert. Dieser habe sich sehr aufgeregt. „Habe ich nicht“. Nachdem das Missverständnis aufgeklärt worden sei, so O., habe er sich bei S. dafür entschuldigt.

Angesprochen auf den Kernvorwurf, S. sei an der Bildung einer terroristischen Vereinigung beteiligt gewesen, habe der Beschuldigte geäußert, für ihn sei das keine terroristische Vereinigung, so O. Gefragt, ob Herr S. sich auch zum Treffen in Minden geäußert habe, erinnert sich O. an die Aussage des Beschuldigten, man habe sich nur getroffen, um zu besprechen, wie man sich und die Familien vor der Zuwanderung schützen könne. O. erinnert sich, zu Werner S. gesagt zu haben, dass er ihn nicht verstehe. Man lebe doch in einem so schönen Land. Doch Werner S. habe seine Ängste vor Zuwanderung geschildert und dass er Angst davor habe, dass Zuwanderer ihm den Kopf, einen Arm oder einen Daumen abschneiden könnten. Die Polizei und das Militär sehe S., so O., als potenzielle Unterstützer. S. habe jedoch Unverständnis darüber geäußert, dass diese das Volk nicht vor Zuwanderung schützen würden, obwohl sie doch die Ausstattung dafür hätten.

Das Treffen in Minden sei, so O., immer mal wieder im Gespräch von Werner S. aufgeworfen worden. S. habe gesagt, dass man dort besprochen habe, was man denn machen könne. O.: „Er hat es immer als Selbstverteidigung dargestellt“. Er, O.,  habe S. darauf angesprochen, dass Waffen ja auch Geld kosten würden. Der VR liest aus dem Vermerk des Ermittlers vor, dass man über verschiedene Themen gesprochen habe, auch über Geld. Es solle eine Summe von 50.000 Euro zusammenkommen. Man habe sich auf einen Beitrag von 5.000 Euro pro Person geeinigt.

Darauf angesprochen, warum er eine Waffe habe, habe S. geäußert, diese „zur Verteidigung seiner Lieben“ zu benötigen. Im Vermerk steht laut Vorhalt, dass S. die Waffe nach eigenen Angaben von jemandem erhalten habe, „der schon viel auf dem Kerbholz“ habe.

 

Der Beschuldigte sei sehr kommunikativ gewesen

Der VR geht nochmal auf die Gesprächsatmosphäre ein und möchte wissen, ob es ein dauerhaftes Gespräch gegeben habe oder auch längeres Schweigen. In der Erinnerung des befragten Zeugen gab es keine durchgängige Kommunikation, da er, O.,  auch mit anderen Kolleg*innen habe sprechen müssen. Meist habe er auf Äußerungen von S. reagiert und die hätten sich aus dem ergeben, was er im Durchsuchungsbeschluss gelesen habe. Man habe über Hunde, das Militär, Waffen, Geld und kurz auch über die AfD gesprochen. Der VR bittet den Zeugen, die Kommunikationsfreudigkeit des Beschuldigten auf einer Skala von eins (nicht kommunikativ) bis zehn (sehr kommunikativ) einzuschätzen. O.: „Zwischen sieben und acht.“ Außer mit ihm habe S. auch mit seinem Kollegen N. und bayrischen Kolleg*innen gesprochen.

Der VR fragt nach, welche Angaben im Vermerk der Zeuge O. aus dem Gedächtnis niedergeschrieben habe und welche Sachen fix seien. O. gibt an, dass er das aus der Erinnerung wiedergegeben habe, es sei denn, er habe eine Uhrzeit notiert. Solche Angaben (zum Beispiel,  wann Werner S. mit dem Anwalt telefoniert hat) habe er unter anderem Angaben seines Handys entnommen.

 

Leidet Werner S. unter Ängsten?

Der Zeuge O. beschreibt auf die Frage des VR, ob er Auffälligkeiten bemerkt habe, dass ihm besonders „ein angenehmer Umgang, von Respekt geprägt“ in Erinnerung geblieben sei. Gefragt nach gesundheitlichen Auffälligkeiten gibt O. an, dass S. eine Ibuprofen600 zu sich genommen habe. Aus dem Vermerk, den der VR zitiert, geht hervor, dass S. um 9.57 Uhr ermöglicht worden sei, eine Tablette zu sich zu nehmen.

Im Folgenden liest der VR ein längeres Zitat aus den Gerichtsakten vor. Es handele sich dabei um eine Einschätzung eines Arztes, die dieser über einen Menschen vorgenommen habe. Der VR lässt aber offen, um welchen Menschen es sich dabei handelt. In dem Zitat wird beschrieben, dass eine Person nur in Anwesenheit eines Bekannten untersucht werden könne. Es wird von „phobischen Ängsten“ gesprochen, dass die Person zwar „klar und hellwach“ sei, aber eine normale Kommunikation kaum möglich. „Zu der schweren depressiven Symptomatik hat sich eine schwere soziale Phobie entwickelt“, heißt es darin. Auf die Frage des VR, ob er in der beschriebenen Person den Angeklagten S. erkennen könne, entgegnet der Zeuge O.: „So wie ich ihm begegnet bin, nicht.“ Es habe auch sonst keine Anhaltspunkte für derlei Ängste gegeben.

 

Das häusliche Umfeld

Im weiteren Verlauf geht es um die Mitbewohner*innen des Angeklagten sowie um die Räumlichkeiten. O. sagt aus, dass er den Mitbewohner M. kaum gesehen habe. Frau T. sei die meiste Zeit in der Küche gewesen. Sie habe gefragt, worum es eigentlich bei der Durchsuchung gehe. Als sie vom Tatvorwurf gehört habe, sei sie außer sich gewesen. Sie habe gesagt, dass sie sich das gar nicht vorstellen könne. Und darauf verwiesen, dass sie in Ägypten geboren worden sei. Sie habe den Beschuldigten zur Rede gestellt. Werner S. habe entgegnet, dass das alles gar nicht stimme. Das Beziehungsgeflecht im Haus sei nicht so einfach zu beschreiben, äußert der Zeuge O. Der Mitbewohner M. und die Mitbewohnerin T. seien ein Paar. Es gebe aber eine sehr enge Beziehung zwischen T. und S. Aus dem schriftlichen Vermerk von O. geht hervor, dass Werner S. zur Untermauerung seiner Unschuld Frau T. Auszüge aus den Chats gezeigt habe.

Um 11.29 Uhr sei S. die vorläufige Festnahme erklärt worden, so O. Eine Festnahme sei im Vorfeld mit der Generalbundesanwaltschft (GBA) für den Fall vereinbart worden, dass Waffen gefunden würden.

Es werden nun Bilder des häuslichen Umfeldes gezeigt. Der Zeuge O. hatte zuvor schon geäußert, dass der Angeklagte im oberen Bereich ein Zimmer gehabt habe, aber auch alle Bereiche für ihn zugänglich gewesen seien, weswegen auch das gesamte Gebäude durchsucht worden sei. Das erste Bild zeigt den Fundort eines Totschlägers in einer Schublade an einem Ort, der von einem beteiligten Polizisten als „Werkstatt“ bezeichnet worden sei. Auf dem Bild sind in der Schublade zudem zwei Reisepässe zu sehen. Ein weiteres Bild zeigt die „Werkstatt“ vom Eingang her. Die darin befindlichen Regale sind vollgestellt. Einige Kartons stehen im Raum, außerdem liegt dort eine Matratze. Auch dieser Bereich sei allen Bewohner*innen zugänglich gewesen. Auf die Frage des VR, wer den Bereich hauptsächlich nutze, kann der Zeuge keine konkrete Aussage treffen. „Ich meine, Herr S. hat dort Lampen restauriert.“

Im Haus habe es zwei Hunde gegeben, erinnert sich O. Ein heller Pitbull und ein schwarzer oder dunkelbrauner, frisch operierter Hund. Keiner der Hunde sei aggressiv gewesen. Laut O. sagte die Mitbewohnerin, dass es ihre Hunde seien.

 

Der Sachverständige erkundigt sich über die psychische Verfassung des Angeklagten S.

Der Sachverständige Dr. Winckler erhält nun vom VR die Möglichkeit, Nachfragen zur psychischen Verfassung des Angeklagten Werner S. zu stellen. Befragt nach der Stimmungslage des Beschuldigten während der Durchsuchung wiederholt der Zeuge O.: „Auf mich hat er einen entspannten Eindruck gemacht, trotz der Situation.“ Es habe weder Hinweise auf eine depressive Verstimmung noch Auffälligkeiten in der Redeweise gegeben. Nach Anzeichen für Nervosität oder Ängsten gefragt, äußert der Zeuge, dass die geäußerte Angst des Beschuldigten, auf die Straße zu gehen, weil Zuwanderer ihm den Kopf oder die Hände abschneiden könnten, im Gedächtnis geblieben sei. Ansonsten würde er ihn als „sehr selbstbewusste“ Person einschätzen, der „von der Maßnahme relativ unbeeindruckt“ geblieben sei. In Erinnerung geblieben ist ihm auch das respektvolle Auftreten des Angeklagten bei der Durchsuchung. „Es war eine sympathische Durchsuchung, auch wenn das ein falscher Vergleich ist.“

Auf die Frage des Sachverständigen Dr. Winckler, ob S. eher grau oder eher charismatisch gewirkt habe, äußert sich der Zeuge dahingehend, dass er ihn nicht als grau einschätzen würde. „Aber bei einer Durchsuchung durch das SEK, da ist man selten charismatisch.“

 

Fragen der Anwälte an den Zeugen O.

Nun erhalten die Anwälte die Möglichkeit, Fragen an den Zeugen zu stellen. Den Auftakt macht RA Herzogenrath-Amelung, Verteidiger von Frank H., der nachfragt, ob denn niemand auf den Gedanken gekommen sei, dem Beschuldigten den Durchsuchungsbeschluss vorzulesen. Herr O. äußert, dass man ihm diesen nicht vorgelesen habe, aber zum Lesen hingelegt. Zur Nachfrage des Rechtsanwalts, ob er wisse, was das für Pässe gewesen seien, die auf den Bildern zu sehen gewesen seien, kann O. nichts sagen. Das wisse er nicht. Die Frage von RA Herzogenrath-Amelung, ob er sich bei seinen Kollegen nach verfahrensrelevanten Äußerungen des Angeklagten während der Durchsuchung erkundigt habe, verneint der Zeuge ebenso wie die Frage, ob er sich mit den Asservaten beschäftigt habe.

RA Becker, Verteidiger von Tony E., verweist darauf, dass laut den Schilderungen des Zeugen der Angeklagte S. immer dabei geblieben sei, dass es sich nicht um eine Vereinigung gehandelt habe. Ihn würde interessieren, ob der Angeklagte dies näher begründet habe. Das sei nicht der Fall, antwortet O. S. habe nur erklärt, dass sie keine terroristische Vereinigung seien, und habe auf den Selbstschutz verwiesen. An dieser Stelle beantragt der Verteidiger des Angeklagten Werner S., RA Siebers, eine halbstündige Unterbrechung, um mit seinem Mandanten sprechen zu können.

Die Sitzung wird von 10.54 Uhr bis 11.35 Uhr unterbrochen.

 

Die Befragung des Zeugen O. wird fortgesetzt

Nach Beendigung der Unterbrechung setzt RA Siebers die Befragung des Zeugen durch die Verteidigung fort. Zunächst interessiert ihn die Situation bis zur Aussprache der vorläufigen Festnahme. Die Frage, ob es einen Haftbefehl gegeben habe, verneint der Zeuge O. RA Siebers setzt mit der Frage nach dem Anlass der Fesselung fort. Hauptkommissar O. erklärt, dass dies zur Eigensicherung der Einsatzkräfte geschehen sei. Man habe im Vorfeld nicht gewusst, wie S. sich verhalten würde. RA Siebers spricht an, dass der Zeuge in einem Nebensatz erwähnt habe, dass man sich auch über die AfD unterhalten habe. O. erinnert sich, dass W. seine Auffassung verkündet habe, dass die AfD zu wenig mache.

 

Die Reaktion der Mitbewohnerin beeindruckte den Angeklagten

Um sich die Situation besser vorstellen zu können, will RA Siebers wissen, wie er sich den Kontakt mit S.‘ Mitbewohner*innen vorstellen könne. „Werden die [mit S.] zusammengeführt oder treffen die zufällig aufeinander?“ Herr O. beschreibt die Situation so, dass sich die Mitbewohner*innen relativ frei im Haus hätten bewegen können. Frau T. sei die meiste Zeit in der Küche gewesen oder mit den Hunden draußen im Garten. Man habe sie irgendwann aus der Küche geholt und ihr den Tatvorwurf erläutert. Herr S. sei dabei gewesen. Überdies habe sich auch Herr S. nicht durchweg an ein und demselben Platz aufgehalten. Während S. und T. miteinander gesprochen hätten, sei er, O., dabei gewesen. Seinem Eindruck nach habe die Reaktion von Frau T. bei Werner S. einen stärkeren Eindruck hinterlassen als der SEK-Einsatz. Auf mehrmalige Nachfrage, ob ihm bei der Reaktion etwas Besonderes aufgefallen sei, räumt O. ein, dass Werner S. aufgrund der Reaktion von Frau T. möglicherweise sogar geweint haben könnte.

Bezüglich der geäußerten Ängste fragt RA Siebers nach, ob der Beschuldigte ein konkretes Beispiel für einen Anlass genannt habe. Dies verneint der Zeuge, auch als RA Siebers ihm das Stichwort „ein Syrer“ vorhält. Seine Befragung abschließend bedankt sich RA Siebers beim Zeugen für dessen einfühlsamen Umgang mit S.

 

Eine „diffuse Geschichte“: War Werner S. beim LKA?

RA Miksch, Verteidiger von Marcel W., schließt sich RA Siebers an und greift die ägyptische Herkunft der Mitbewohnerin auf. Er möchte zunächst wissen, ob sie Muslima oder Koptin sei, worauf der Zeuge entgegnet, dass ihm hierzu nichts bekannt sei. Frau T. habe nur geäußert, dass sie als Baby oder Kleinkind nach Deutschland gekommen sei. RA Miksch setzt die Befragung zur Vergangenheit von Frau T. und Herr S. fort. Ob die beiden sich über ein gemeinsames Sonnenstudio in München geäußert hätten und ob sie eine Beziehung miteinander gehabt hätten. Der Zeuge kann ausschließen, dass ein Sonnenstudio erwähnt worden sei. Von einer früheren Beziehung wisse er, habe aber nicht in Erinnerung, ob er diese Information aus dem Gespräch während der Durchsuchung oder aus den Ermittlungsakten habe.

RA Miksch setzt die Befragung fort, indem er eine mögliche Tätigkeit des Angeklagten S. für Sicherheitsbehörden thematisiert. Die erste Frage geht in Richtung einer möglichen Äußerung von Werner S., dass er mal von einem LKA irgendwo eingeschleust worden sei. Der Zeuge ist sich nicht sicher. Er meint, dass Frau T. mal etwas in dieser Richtung geäußert habe. Er weiß letztlich nicht, ob Frau T. oder Herr S. das gesagt hätte. Der zweifelnde Kommentar, dass ein LKA-Beamter so etwas nicht behalte, führt zur Aussage des Zeugen O., dass S. nicht beim LKA gewesen sei. Es gebe vielmehr eine „diffuse Geschichte“, von der er aber nicht wisse, wer von den beiden sie erzählt habe. Auch an Aussagen über eine Tätigkeit beim Zoll oder dass S. 16 Jahre für die Polizei gearbeitet habe, kann sich der Zeuge nicht erinnern.

Dem RA Picker, Verteidiger von Marcel W., antwortet der Zeuge O., dass Werner S. weder Stimmungsschwankungen noch Magenschmerzen geäußert habe, nicht euphorisch gewirkt oder ein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis gezeigt habe.

 

Verlass auf Polizei und Militär?

RA Berthold, Verteidiger von Michael B., greift eine Frage von S. während der Durchsuchung auf, bei der er habe wissen wollen, ob nicht Polizei und Militär etwas gegen die Zuwanderung ausrichten könnten. Wie das gemeint gewesen sei; gegen das Parlament oder bezogen auf die vorhandenen Einsatzmittel? O. sagt, das sei nicht ganz klar gewesen. Militär und Polizei hätten aber laut S. die technischen Mittel gehabt. S. habe ihm gegenüber auch geäußert: „Ich verlasse mich auf Sie.“ Auf die Nachfrage von RA Berthold, wie O. das verstanden habe, vermutet dieser, dass S. geglaubt habe, er, O., würde ihn schon „raushauen“. RA Berthold hakt nach, ob S. die Tragweite des Vorwurfs nicht bewusst gewesen sei und wie es um sein Unrechtsbewusstsein beim Fund der aufgefundenen Pistole bestellt gestanden habe. O. antwortet, er habe das so wahrgenommen, dass für S. normal zu sein schien, eine Waffe zu besitzen. S. habe das als Selbstverteidigung verstanden. Als letzte Frage geht RA Berthold auf die Äußerung von S. beim Lesen des Durchsuchungsbeschlusses ein, dass er einen „Heinrich [B.]“ nicht kenne. Er möchte wissen, ob diese Äußerung spontan erfolgt sei und ob sie später revidiert worden sei. Der Zeuge O. beschreibt die Äußerung als spontan, ohne eine spätere Revidierung.

Als letzter richtet RA Mandic, Verteidiger von Michael B., seine Fragen an den Zeugen. Er erkundigt sich danach, ob Werner S. mit Antiquitäten gehandelt habe. Das könnte ja auch das aufgefundene Hitler-Bild erklären. O. kann die Frage nicht genau beantworten. Auf die zweite Frage von RA Mandic, wo denn das Hitlerbild gefunden worden sei, antwortet O., dass dieses im Schlafzimmerschrank des Beschuldigten gelegen habe.

Um 11.58 Uhr entlässt der VR den Zeugen aus der Befragung mit dem Hinweis, dass er für weitere Fragen zu einem späteren Zeitpunkt geladen werden könnte.

 

RA Miksch: Anschläge auf Moscheen plant niemand, der mit einer Muslima zusammenlebt

Nachdem der Zeuge den Raum verlassen hat, gibt der VR den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, Erklärungen abzugeben.

RA Herzogenrath-Amelung lässt wissen, dass der Zeuge den Angeklagten Werner S. als einen „netten Menschen“ dargestellt habe, was seiner Meinung nach der Aktenlage entspreche. Es sei zwar über Waffen gesprochen worden, aber nicht über deren Verwendung. Ihm sei es wichtig festzuhalten, dass nicht von einem Tag X oder einem Umsturz gesprochen worden sei.

Für RA Miksch scheint es kaum vorstellbar, dass Werner S. mit einer Frau in einer Beziehung mindestens als Mitbewohnerin (die nach Auffassung von RA Miksch statistisch gesehen eine Muslima sei) lebe und gleichzeitig Angriffe auf Moscheen plane. Seiner Auffassung nach sei zudem zu eruieren, was an den Aussagen von S. dran sei, für ein LKA gearbeitet zu haben.

RA Picker richtet den Blick auf den Vorbehalt der psychischen Befindlichkeit. Es werde einzuschätzen sein, wie die psychische Befindlichkeit und das Aussageverhalten miteinander zusammenpassen würden.

Nachdem auf die Einladung des VR zu weiteren Erklärungen keine weitere Reaktion erfolgt, unterbricht der VR um 12.04 Uhr die Verhandlung für eine Mittagspause.

 

Erneute Befragung des Zeugen Julian B. zur Vernehmung von Steffen B.

Um 13.46 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt. Im Zeugenstand befindet sich nun Julian B. vom LKA Baden-Württemberg, der bereits am Vortag vor dem OLG ausgesagt hatte. Der VR startet mit der Frage, ob die Vernehmung des Angeklagten Steffen B., die am Vortag als Audio zu hören war, authentisch gewesen sei und ob der Ermittler B. eine Veränderung im Aussageverhalten des Angeklagten wahrgenommen habe. In der Wahrnehmung des Zeugen B. war die Vernehmung authentisch. Der Beschuldigte B. sei zunächst sehr aufgeregt und nervös gewesen. Mit der Zeit sei er ruhiger geworden. Erst zum Ende der Vernehmung, als es um das Verhältnis zu André B. [mutmaßlicher Waffenhändler] gegangen sei, sei der Beschuldigte wieder aufgeregter gewesen.

Der VR befragt den Zeugen B., was mit der Audioaufnahme nach dem Verhör passiert sei und ob daran Veränderungen vorgenommen worden seien. Der Zeuge schildert, dass die Audiodatei der Vernehmung zur Verschriftlichung an eine externe Firma gesendet worden sei. Veränderungen seien danach nicht mehr vorgenommen worden.

 

Angehörige der „Gruppe S“ in Berlin

Der VR leitet zur Inaugenscheinnahme mehrerer Fotografien über. Diese Bilder seien dem Beschuldigten Steffen B. während seiner Vernehmung am 19. Mai 2020 vorgelegt worden. Die Bilder sind auch für das Publikum durch Projektion an die Wand sichtbar.

Das erste Bild zeigt ein Gruppenfoto von „Soldiers of Odin“ (SoO), auf dem 25 bis 27 Personen abgebildet sind. In ihrer Mitte befindet sich eine Fahne mit SoO-Symbolik. Das Bild wurde im Grünen aufgenommen. Der Beschuldigte Steffen B. hat darauf mit einem Edding Zahlen geschrieben. Im Anschluss werden Porträtaufnahmen der 13 Beschuldigten gezeigt, inklusive eines Fotos des verstorbenen Ulf R., der zum Zeitpunkt der Vernehmung noch lebte. Die Bilder der Beschuldigten wurden dem Angeklagten Steffen B. während der Vernehmung immer wieder vorgelegt.

Weiter geht es mit Bildern, die Angehörige der „Gruppe S“ und weitere Personen während eines Aufenthalts in Berlin zeigen. Ein als „Fotoanlage 1“ beschriebenes Bild zeigt die Gruppe vor dem Brandenburger Tor. Auf dem nächsten Bild, „Lichtbild 5“, sind sechs Personen in Alltagskleidung zu sehen, die meisten mit Mütze oder Kapuze. Sie stehen vor dem Berliner Hauptbahnhof. Vom Angeklagten Steffen B. wurden hier die Nummer 3 bis 6 notiert.

Auf „Lichtbild Nummer 2“ ist eine Gruppe vor dem Reichstag zu sehen. Auch hier hat der Angeklagte die abgebildeten Personen nummeriert, sich selbst ausgenommen. Zu sehen sind insgesamt neun Personen, darunter die Angeklagten Werner S. und Tony E. Ein weiteres Lichtbild zeigt die beiden mit sieben weiteren Personen am Brandenburger Tor.

 

Steffen B. skizzierte die Sitzordnung in Minden

Etwas genauer wird eine Skizze des Angeklagten Steffen B. zur Sitzordnung beim Treffen in Minden angeschaut. Die Skizze wurde während der Vernehmung des Beschuldigten am 19. Mai 2020 von diesem angefertigt. B. hat darauf die Plätze der Personen nummeriert. Die Zahlen entsprechen den Lichtbild-Nummerierungen. Im Nachgang des Verhörs wurde die Skizze von PHK M. ins Elektronische übertragen. Auch diese Abbildung wird vor Gericht gezeigt.

Auf der Skizze ist auf der linken Seite eine ovale Sitzanordnung zu sehen. An diesem Tisch saßen die Angeklagten Marcel W., Markus K., Paul-Ludwig U., Thomas N., Frank H., Thorsten W. und eine Person zwischen Thomas N. und Thorsten W., die mit einem X markiert ist und nicht namentlich zugeordnet wurde. Auf der rechten Seite befand sich noch ein rechteckiger Tisch, an dem Werner S. und Tony E. am Übergang zum ovalen Tisch saßen, sowie Stefan K. und Steffen B. am äußeren Rand.

 

Weitere Bilder werden in Augenschein genommen

Als nächstes wird ein Bild gezeigt, welches bereits in der Vernehmung am Vortag eine Rolle spielte. Zu sehen ist der Angeklagte Steffen B. vor dem Haus in Minden neben einem silberfarbenen Auto mit Mindener Kennzeichen. Nach Angaben des Zeugen B. stammt das Bild aus einer Kamera, die verdeckt für die Observation verwendet worden sei. Hierbei handele es sich um einen Screenshot.

Anschließend werden Porträtfotos von 22 weiteren relevanten Personen gezeigt, die Steffen B. während der Vernehmung vorgelegt wurden, aber die nicht beim Treffen in Minden anwesend gewesen sein sollen. Der VR erkundigt sich, wo diese Mappe mit den 13 Beschuldigten und den 22 weiteren Personen angefertigt worden ist. Der Zeuge B. antwortet, die Mappe sei im LKA Baden-Württemberg zusammengestellt worden, um sie bei Vernehmungen immer wieder vorzeigen zu können.

Als letztes wird ein Screenshot aus der Facebook-Gruppe „Viking Security Germania, Division Sachsen-Anhalt“ in Augenschein genommen. Die Ermittler*innen sind bei der Asservatenauswertung des Handys von Steffen B. darauf gestoßen. Das Foto wurde am 11. November 2019 gepostet. Es zeigt vier Personen im Dunklen an einem Bahnsteig, die vom Angeklagten Steffen B. nummeriert wurden. Nach Aussage des Zeugen Julian B. sind darauf der Angeklagte Steffen B., rechts von ihm der Angeklagte Stefan K. sowie Mario Sch. und eine unbekannte Person zu sehen. Danach schließt die Inaugenscheinnahme, und der VR gibt die Möglichkeit, Erklärungen abzugeben.

 

Erklärungen der Anwält*innen

RA Becker, Verteidiger von Tony E., teilt mit, dass die beiden Skizzen zur Sitzordnung dokumentieren würden, was am Vortag von der Verteidigung Tony E. erklärt worden sei. [Gemeint ist wohl, wer aus welcher Sitzposition heraus beispielsweise Zwiegespräche und Mimik oder Gestik der anderen Anwesenden mitbekommen haben könnte – oder eben auch nicht.] Von Seiten der Verteidigung des Angeklagten Thorsten W. wird darauf hingewiesen, dass ihr Mandant – wie auf dem Bild der Observation zu sehen sei – zugeparkt gewesen sei. [Das hatte Thorsten W. in seiner Aussage als Grund dafür angegeben, bei einem Treffen geblieben zu sein, bei dem er sich laut eigenen Angaben nicht wohl fühlte.]

Der VR möchte vom Zeugen wissen, wie er mit Vorhalten während der Vernehmung vorgegangen sei. Ermittler Julian B. antwortet, dass er keine pauschale Antwort geben könne. Es habe einen Vernehmungsleitfaden gegeben, und Vorhalte seien auch beigefügt worden, damit man später nachvollziehen könne, was gemacht wurde. Er habe aber auch Punkte aus dem Gedächtnis abgerufen, weil sie an der entsprechenden Stelle der Vernehmung gepasst hätten.

Von Seiten des Senats wird der Zeuge darum gebeten, die Personen auf dem Bild vor dem Brandenburger Tor namentlich zu benennen. Zeuge B. benennt von rechts nach links einen Herrn M. [Per M.], den Angeklagten Thomas N., Ralph. E. [aus der Chatgruppe „Heimat“], Thorsten K. [Chatgruppe „Heimat“], den Angeklagten Tony E., den Angeklagten Markus K., den Angeklagten Werner S., den Angeklagten Steffen B. und einen Herrn M. [Heiko M.].

 

Sperrte das Innenministerium das Observationsvideo?

RA Herzogenrath-Amelung erkundigt sich, ob der Vernommene zum Zeitpunkt der Vernehmung Aktenkenntnis gehabt habe, worauf der Zeuge B. erwidert, dass B. „wahrscheinlich Einblick“ gehabt habe. Auf die Frage des RA, ob es ein Vor- oder Nachgespräch gegeben hätte, äußert der Zeuge, dass es neben der Begrüßung kein weiteres Gespräch mit dem Angeklagten Steffen B. gegeben habe.

RA Herzogenrath-Amelung: „Spielte es für Sie oder Ihre Kollegen eine Rolle, dass Herr B. sich zum Zeitpunkt der Vernehmung in U-Haft befand und möglicherweise aus der U-Haft rauswollte?“ Zeuge B.: „Kann ich nur aus meiner Sicht beantworten: nein.“

RA Herzogenrath-Amelung erkundigt sich, ob der Videomitschnitt von der Observation des Treffens in Minden noch existiere. Er würde gerne das gesamte Video den Verfahrensakten beifügen. Der Zeuge B. antwortet darauf hin: „Ja, das Video existiert noch.“ Zu den Akten könne aber nur das genommen werden, was vom Innenministerium nicht mit einem Sperrvermerk versehen worden sei.

RA Herzogenrath-Amelung greift eine Formulierung aus der Vernehmungsakte zu Steffen B. auf, in der es um den Tatvorwurf gegen die „Gruppe S“ geht, „sich auf unbestimmte Zeit zusammenzuschließen, um die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik zu überwinden und zu erschüttern“. Auf den Vorwurf des RA, dass der Tatvorwurf im Indikativ formuliert worden sei und somit das eigentlich zu Ermittelnde schon festgeschrieben worden wäre, entgegnet der Zeuge B., dass dieser Formulierung der Satz „Ihnen wird vorgeworfen“ vorangestellt worden sei.

 

Telefonierte Steffen B. auf der Rückfahrt aus Minden mit dem Waffenhändler?

Unstrittig ist, dass die Angeklagten Steffen B. und Stefan K. am 8. Februar 2020 nach dem Treffen in Minden gemeinsam zu einer Party nach Schönebeck (Elbe) fuhren. RA Flintrop, Verteidiger von Steffen B., möchte wissen, ob alle Teilnehmer der Party ermittelt werden konnten. Der Zeuge B. sagt aus, dass dies noch nicht abschließend erfolgt sei. Er könne auch nicht sagen, ob der Angeklagte Steffen B. und der mutmaßliche Waffenhändler André Mike B. während der Fahrt miteinander telefoniert hätten. Es habe aber Erkenntnisse gegeben, dass der Beschuldigte Steffen B., der Beschuldigte Stefan K. und André Mike S. miteinander geschrieben haben. RA Flintrop kritisiert, dass seinem Mandanten beim Verhör vorgehalten worden sei, Waffen bestellt zu haben. Der Zeuge B. erwidert, das sei eine klassische Suggestivfrage gewesen, normaler Teil einer Befragungspraxis.

RA Berthold geht auf die Skizze zur Sitzordnung ein, auf der eine Person mit einem X markiert wurde. Julian B. erklärt, dass sich der Beschuldigte Steffen B. nur habe daran erinnern können, dass da noch eine Person gesessen habe, aber nicht mehr daran, wer es gewesen sei. Es gebe viele Erkenntnisse zum Treffen in Minden, aber er könne nicht sagen, ob die Person schon identifiziert worden sei oder nicht.

RA Picker knüpft an RA Herzogenrath-Amelungs Äußerung an, dass der Tatvorwurf im Verhör als Tatsache dargestellt worden sei. Der Ermittler B. führt aus, dass die Formulierung von der GBA übernommen worden sei und dies auch mit ihr abgesprochen gewesen sei.

 

Irritationen auf Seiten der Verteidigung

Markus K.s Verteidigerin RAin Schwaben weist auf einen „Widerspruch“ bezüglich B.s Aussage zu K.s angeblicher Zahlungsunfähigkeit wegen Hartz IV und dessen beruflicher Tätigkeit für eine Firma hin. [B. hatte wohl gesagt, dass K. nichts geben konnte, da er pleite sei. RAin Schwaben möchte also offenbar darauf hinaus, dass ihr Mandant nichts geben wollte, obwohl er hätte etwas geben können.]

Stefan K.s Verteidiger RA Abouzeid geht auf eine Schlussbemerkung des Angeklagten Steffen B. ein. Dort heißt es: „Ne, wie gesagt, ich bin da reingerutscht. Ich hoffe, dass ich zu meiner Familie zurückkann. Und ich wusste nicht, was in Berlin besprochen wurde“. RA Abouzeid zeigt sich irritiert darüber, dass hier Berlin genannt sei, und fragt nach, ob es nicht vielmehr Minden heißen müsste. Der Zeuge B. bemerkt, dass die Qualität der Audioaufnahme im Raum nicht so gut sei. „Ich habe mich selber schwergetan, mitzukommen.“ Ob es an dieser Stelle Minden oder Berlin heiße, könne er aber zu diesem Zeitpunkt auch nicht beantworten.

Um 14.54 Uhr wird der LKA-Beamte Julian B. vom VR unvereidigt entlassen. Der VR kündigt an, dass er noch zu weiteren Zeugenbefragung eingeladen werden könne. Nachdem der Zeuge den Raum verlassen hat, erhalten die Verfahrensbeteiligten die Chance, Erklärungen zur Aussage des Zeugen B. abzugeben.

RA Ried, Vreteidiger von Steffen B., möchte festgehalten wissen, dass nach Aussage des Angeklagten Steffen B. der Mitangeklagte Paul-Ludwig U. der Einzige gewesen sei, der Anschläge in Köln ins Gespräch gebracht habe. U. sei dominant aufgetreten, habe auch den mutmaßlichen Drahtzieher Werner S. unterbrochen. Es seien „krasse Sätze“ von U. gefallen. U. habe das in eine Terror-Ecke gedrückt. Zudem habe U. seiner Sitzposition zufolge unmöglich alle Zwiegespräche mithören können.

 

„Verschanzt“ sich der Zeuge hinter dem Innenministerium?

RA Herzogenrath-Amelung hält fest, dass es eine optische Überwachung des Treffens gegeben habe und das Material nicht in den Akten zu finden sei. Interessant sei aus seiner Perspektive, dass sich der Zeuge und möglicherweise auch der Senat hinter dem Innenministerium „verschanze“. Auf die Vernehmung von Steffen B. bezogen, kritisiert er, dass die GBA sich habe verleiten lassen, über die ermittelnden Beamten etwas als Tatsache darzustellen, was es erst zu ermitteln gegolten habe. Er widerspricht der Verwertung der Vernehmung von Steffen B. am 19. Mai 2020 und der Zeugenaussage von Julian B. Andere Verteidiger*innen schließen sich an. RA Ried, Verteidiger des Angeklagten Steffen B., schließt sich ausdrücklich nicht dem Widerspruch an.

Der VR kündigt das weitere Vorgehen in der Verhandlung an. In der kommenden Woche soll ein Bewährungshelfer von Paul-Ludwig U., Herr W., in den Zeugenstand treten. In der darauffolgenden Woche sei das Programm noch unklar. Für den 13. Juli kündigt er die Befragung der Zeugin Frau Sch. an, die ebenfalls als Bewährungshelferin von Paul-Ludwig U. tätig ist oder war.

Die Exploration von Paul-Ludwig U. soll nach Angaben des Sachverständigen vermutlich in der Sommerpause [also im August] stattfinden.

 

Audio-visuelle Begutachtung von Paul-Ludwig U.?

Da die Begutachtung des Angeklagten und Hauptbelastungszeugen Paul-Ludwig U. noch ansteht, beantragt RA Becker, dem Sachverständigen Dr. Winckler aufzuerlegen, die Exploration des Angeklagten U. vollständig durch Bild- und Tonaufnahme zu dokumentieren. Eine Glaubhaftigkeitsbegutachtung müsse auch Mimik und Gestik berücksichtigen. Zudem habe der Angeklagte U. in den Videoaufzeichnungen der Polizeiverhöre gezeigt, dass er damit kein Problem habe.

Die Verteidigung des Angeklagten Paul-Ludwig U. erklärt, dass ihr Mandant seine grundsätzliche Bereitschaft zur Untersuchung unter diesen Bedingungen zurückziehen werde. Der Antrag von RA Becker wird von vielen weiteren Verteidiger*innen geteilt, stellt sie aber auch vor ein Dilemma. RA Abouzeid bringt das Problem auf den Punkt: „Ich schließe mich dem Antrag an und bitte gleichzeitig den Senat darum, ihn abzulehnen.“ [damit es überhaupt ein Gutachten zu U. gibt.]

 

Der VR schließt um 15.23 Uhr die Verhandlung.

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