10. Prozesstag im Wehrhahn-Prozess – Landgericht Düsseldorf, 2. März 2018

Am 10. Hauptverhandlungstag waren drei Zeuginnen geladen. Am meisten dürften sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Nebenklage von der 54-jährigen Zeugin L. versprochen haben, die im Jahr 2000 jenes Tattoo-Studio auf der Kölner Straße in Düsseldorf betrieben hatte, in dem sich Ralf S. häufig aufhielt, auch am 27. Juli 2000, dem Tattag. Allerdings taten sich bei ihrer Aussage vor Gericht deutliche Lücken bzw. Abweichungen auf im Vergleich zu dem, was über ihre früheren Aussagen seit 2015 protokolliert worden war.

Überhaupt nichts zur Aufklärung beisteuern konnte die beiden anderen Zeuginnen.

 

L. berichtete, dass Ralf S. häufig mit seinem Hund in Flingern Patrouille gelaufen sei und sich als „Dorfsheriff“ aufgespielt habe. So habe sie ihn kennengelernt, auch sie sei mit ihrem Hund dort spazieren gegangen. Damals habe sie auf der Birkenstraße gewohnt. Nachdem sie am 1. Juli 2000 ihren Laden auf der Kölner Straße eröffnet habe, hätte sie täglich den Kreuzungsbereich Ackerstraße/Gerresheimer Straße passiert und habe S. dort mehrmals an der Elisabethkirche stehen sehen. Er sei dann nahezu täglich zum Kaffeetrinken im Laden vorbei gekommen, nicht selten auch mehrmals täglich, so wie auch am Tattag. Im Jahr 2000 habe sie getrennt von ihrem Ehemann gelebt und sei mit Patrick E. liiert gewesen. Noch in 2000 habe sie ihren Laden einem Kollegen übergeben und sei nach Potsdam gezogen, nicht zuletzt, weil sie sich von Ralf S. bedrängt und von Linken bedroht gefühlt habe. Ihr sei alles zu viel geworden. Ende 2001 sei sie aber zurückgekommen. Ihr sei im Laufe der Jahre vieles durch den Kopf gegangen und klar geworden. Das Thema Wehrhahn-Anschlag habe sie belastet. Deshalb sei sie durchaus erleichtert gewesen, als sie 2015 die Gelegenheit bekam, im Rahmen der Neuermittlungen darüber reden zu können.

 

Mit Ralf S. habe sie im Sommer 2000 eine sexuelle Beziehung gehabt, so L. Das habe vor dem Anschlag angefangen. Er habe sie immer wieder bedrängt. Auch nachdem sie Ende 2001 aus Potsdam zurückgekommen sei. Da habe er ihr aufgelauert und 600,- DM zurück haben wollen, die er ihr mal für eine Wohnungskaution geliehen habe. Dabei habe er ihr das „Angebot“ gemacht, ihre Schulden „abzuarbeiten“. Sie habe sich von ihm verfolgt gefühlt. S. habe aber von ihr abgelassen, nachdem sie angefangen habe, in einem Tattoo-Shop der Bandidos in Wuppertal zu arbeiten. Das seien Leute gewesen, „mit denen nicht gut Kirschen essen“ gewesen sei.

 

Ralf S. habe sich auch mal ein Tattoo von ihr stechen lassen, das sie in der Zeit vor dem Anschlag begonnen, aber erst in der Zeit nach dem Anschlag beendet habe. Motiv sei die Wewelsburg und ein Drache gewesen, inklusive einer „Schwarzen Sonne“ und einem Rudolf-Heß-Zitat („Stünde ich wieder am Anfang, würde ich wieder handeln wie ich handelte [...]“). Sie habe zuerst gar nicht gewusst, wie sie einen solch langen „Roman“ so tätowieren soll, dass man ihn noch nach einigen Jahren lesen könne, habe das Zitat dann aber wie gewünscht im Hüftbereich tätowiert. Wann genau sie das Zitat tätowiert habe, wisse sie nicht mehr.

 

S. habe sich häufig gegen „Ausländer“ geäußert und sich beschwert, dass „die Ausländer alles bekommen“ würden, er aber nichts bekäme und deshalb existenzielle Probleme habe. „Es müsste mal was passieren“, habe er sinngemäß gesagt. Seinen Hund habe er auf das Kommando „Asylant“ abgerichtet. Er habe sich auch über irgendwelche ausländischen Nachbarn aufgeregt. Sie habe aber damals nicht gewusst, welche Nachbarn gemeint gewesen seien. S. sei ein „Sprücheklopfer“ gewesen, sie habe nie gewusst, was der Wahrheit entspreche und was nicht. Er habe aber nie erzählt, dass er was mit dem Anschlag zu tun gehabt hätte.

 

Es seien damals „komische Sachen“ passiert, derer sie sich aber erst später bewusst geworden sei. S. habe ihren Freund Patrick sowie einen Bekannten – „Aki“ – mit Hunden angeheuert, um „jemandem einen Schrecken einzujagen.“ Ihr Freund habe ihr erzählt, er müsse da was für S. erledigen auf der Ecke Gerresheimer/Worringer Straße. Dafür habe er sich ihren Staffordshire Terrier ausgeliehen. Patrick habe einen langen schwarzen Ledermantel besessen. Auch „Aki“ habe einen Hund gehabt. Das sei in der Zeit vor dem Anschlag gewesen, eventuell im Juni. Sie habe später mal recherchiert, dass an der Ecke Gerresheimer/Worringer Straße eine Sprachschule gewesen sei und dann „eins und eins zusammengerechnet“. Explizit habe ihr das aber damals keiner gesagt, von der Sprachschule sei ihr zu diesem Zeitpunkt nichts bekannt gewesen.

Sie habe damals auch mit ihrer Freundin A. über den Anschlag gesprochen. Sie habe sich mit ihr im Herbst 2000 unterhalten und zu ihr gesagt, dass S. das gewesen sein könnte, es würde alles passen. Das habe ihre Freundin auch so gesehen. Diese sei zudem sauer auf S. gewesen, weil der sich zu sehr für ihre erst 13-jährige Tochter interessiert habe. Irgendwie habe S. dann „spitzgekriegt“, dass sie, L., es für möglich halte, dass er der Täter sei. Er habe ihr einen Brief geschrieben, den sie aber erst 2001 von der Polizei in Kopie zu Gesicht bekommen habe, da er von der Polizei abgefangen worden sei. Der Inhalt: Sie möge aufhören zu verbreiten, dass er der Täter sei und ihm bis zum 15. Januar 2001 die 600,- DM zurückzahlen.

 

Bei der Aussage von L. kristallisierten sich am 2. März 2018 vier zentrale Punkte heraus.

 

1.) L. gestand ein, nach dem Anschlag S. geschützt zu haben. Zum Teil aus eigenem Antrieb, da sie anfangs von seiner Unschuld überzeugt gewesen sei, teilweise aber auch auf Drängen von Ralf S. Obwohl sie die Uhrzeiten nur sehr grob im Blick gehabt hätte, habe sie 2000 behauptet, S. sei zur Tatzeit (15.03 Uhr) bei ihr gewesen. Davon sei sie damals auch ausgegangen. Tatsächlich aber dürfte S. schon früher ihr Tattoo-Studio verlassen haben, zumal er ja bereits – wie sie später erfahren habe – um 15.07 Uhr von zuhause aus telefoniert habe. Die Detonation habe sie damals nicht gehört wegen der lauten Tätowiermaschine, außerdem habe es zuvor ein Gewitter gegeben. S. habe ihr gesagt, er habe mit dem Anschlag nichts zu tun. Er habe sie beeinflusst und ihr gesagt, sie möge nicht mit der Polizei sprechen. Am Tattag habe er von einem Termin mit einer Auftraggeberin berichtet. S. sei am 27. Juli 2000 gegen 11 Uhr in ihrem Laden gewesen – und dann das nächste Mal kurz vor 15 Uhr. Er sei anders gekleidet gewesen als am Vormittag, was aber für S. „normal“ gewesen sei. Sie hätte aber keine Zeit für ihn gehabt, da sie ab 14 Uhr mit einem aufwändigen Rücken-Tattoo (Motiv: Panther) einer Kundin beschäftigt gewesen sei. S. habe bekundet, sehr viel zu tun zu haben und direkt wieder nach Hause zu müssen. Er sei nur wenige Minuten geblieben. Eine halbe Stunde später, gegen 15.30 Uhr, habe S. dann von seinem Festnetzanschluss aus angerufen und zu ihrem Erstaunen nach dem derzeitigen Aufenthaltsort ihrer Kinder gefragt. Anschließend habe er berichtet, dass etwas passiert sei, das habe er über den Polizeifunk gehört.

 

2.) L. berichtete zudem, dass S. noch vor ihrer ersten Vernehmung angedeutet habe, dass er Sorge habe, Probleme mit der Polizei zu bekommen und festgenommen zu werden. Bei einer ihrer früheren Vernehmungen hatte sie das konkreter datiert. Die genannte Äußerung von S. sei bereits bei seinem Anruf im Tattoo-Shop gegen 15.30 Uhr getätigt worden [Anmerkung: Also zu einem Zeitpunkt, zu dem Hintergründe der Explosion noch völlig unbekannt waren.] Sie habe sich damals sehr über diese Äußerung bzw. über den Anruf ingesamt gewundert.

 

3.) In früheren Vernehmungen (ab 2015) hatte L. ausgesagt, dass S. ihr gegenüber erwähnt hätte, dass er Handgranaten besitze und versteckt habe. Er habe ihr einmal eine gezeigt, diese sei aber „leer“ gewesen. Deshalb sei sie auch, so L. vor Gericht, davon ausgegangen, dass es Handgranaten gewesen seien, die S. vor der Polizei versteckt hatte, als seine Wohnung durchsucht wurde. Nach der Hausdurchsuchung habe S. damals erzählt, er habe rechtzeitig irgendwas in der Wohnung verstecken können, was die Polizei auch tatsächlich nicht gefunden habe. Sie wäre davon ausgegangen, dass Handgranaten gemeint gewesen seien. Möglicherweise habe er auch gesagt: „Die anderen haben sie nicht gefunden“, als er ihr die leere Handgranate gezeigt habe. Das mit den Handgranaten habe sie 2000/2001 verschwiegen.

 

4.) In früheren Vernehmungen (ab 2015) hatte L. mehrfach ausgesagt, dass S. verkündet habe, „Kanaken in die Luft sprengen“ zu wollen. Da sei sie sich „absolut sicher“. Vor Gericht wollte sie das mit dieser Sicherheit nicht wiederholen. S. habe gesagt, es müsse was gemacht werden gegen die „Kanaken“. Letztendlich legte sie sich auf „99-prozentig“ fest, konnte sich aber gleichzeitig nicht daran erinnern, dass das Wort „wegsprengen“ von Ralf S. benutzt wurde und hielt es auch nicht für unmöglich, dass ihr bei früheren Vernehmungen etwas in den Mund gelegt worden war. Auf Nachfrage der Nebenklage gab sie dann allerdings später an, ihr sei nichts in den Mund gelegt worden.

 

Weitere Zeuginnen

 

Nach der Entlassung der Zeugin L. wurde als zweite Zeugin an diesem Tag eine 37-jährige Frau befragt, die sich als Begleiterin einer Freundin am Nachmittag des Tattages im Tattoo-Studio von L. aufgehalten und dabei auch Ralf S. und einen – die Kinder der Inhaberin betreffenden – Anruf im Laden wahrgenommen hatte. S. sei so gegen 14.45 Uhr das erste Mal in den Laden gekommen und später dann noch zwei Mal. Das zumindest hatte sie in ihrer damaligen Vernehmung angegeben. Vor Gericht konnte sie sich zwar an den Tattoo-Shop und dunkel auch an die Inhaberin erinnern, nicht aber an ihre damalige Freundin und an ihren Besuch des Ladens am 27. Juli 2000. Der Kontakt zur Inhaberin des Ladens sei über ihren damaligen Freund gelaufen.

 

Als dritte und letzte Zeugin war am 10. Verhandlungstag A. erschienen, die von L. erwähnte Freundin, mit der sie unter anderem über ihren Verdacht, dass Ralf S. den Anschlag verübt haben könnte, gesprochen habe. Und die auch der Auffassung gewesen sei, dass S. der Täter sei. Die 53-Jährige bekundete, dass sie Ralf S. im Tattoo-Studio ihrer damaligen Freundin L. kennengelernt habe, mit der sie aber seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr habe. Damals habe sie öfter auf deren Kinder aufgepasst. Ralf S. habe sie auch nur flüchtig gekannt, sie habe ihn hin und wieder auf der Straße getroffen, da sie öfter am S-Bahnhof Wehrhahn und an seinem Laden vorbei gegangen sei. Einmal sei sie ganz kurz in seinem Laden gewesen, aber „nur zwei Meter“, weil S. ihr etwas habe zeigen wollen. Dass er etwas gegen „Ausländer“ gehabt habe, sei ihr bekannt gewesen. Dass S. damals unter Tatverdacht stand, habe sie nicht mitbekommen. Mit L. habe sie ihrer Erinnerung nach nicht über ihn geredet. Sehr intensiv sei ihr Kontakt zu L. auch nicht gewesen, zumeist habe sie nur auf deren Kinder aufgepasst. Irgendwann sei L. dann nach Potsdam verschwunden und man habe keinen Kontakt mehr zueinander gehabt. Ob S. mal was in Richtung „Kanaken wegsprengen“ gesagt habe, wisse sie nicht mehr, das sei schließlich alles 18 Jahre her.

Bei ihrer Vernehmung im Jahr 2015 hatte A. noch ausgesagt, mit L. über den Anschlag und den möglichen Täter Ralf S. gesprochen zu haben.

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