Die erste Zeugin
Als erste Zeugin war eine Frau an der Reihe, die ab Ende 1999 wenige Monate als Sicherheitsmitarbeiterin – vermittelt über das Arbeitsamt – Ralf S. unterstellt war und innerhalb dieser Zeit eine „kurze Affäre“ mit ihm hatte. Von seiner Lebensgefährtin D. habe sie erst recht spät erfahren. Sie habe „Schluss gemacht, weil der mir überall aufgelauert hat, das war mir unheimlich“. S. sei „extrem in allem, was er tut“, so die Zeugin. Er sei zudem „sehr von sich überzeugt“, ein „nein!“ würde er nicht akzeptieren. Sie habe auch noch nie jemanden kennengelernt, der so überzeugend lügen könne. Er habe ständig Leute „angeschleppt“, denen er „irgendeinen Scheiß erzählt“ habe und die ihn dann geschützt – beispielsweise vor Gericht für ihn ausgesagt – hätten. Wie extrem „ausländerfeindlich“ er sei, wäre ihr erst nach einiger Zeit aufgefallen. S. habe aber auch Drogen- und Alkoholkonsument*innen, Schwule, Lesben und andere gehasst. Sie berichtete zudem ausführlich, nach Beendigung der „Affäre“ von ihm gestalked und bedroht worden zu sein. Auch eine ihrer Freundinnen und ihre Eltern seien von S. belästigt worden, ihr Vater habe ebenfalls Anzeige erstattet. S. habe „beim Terrorisieren eine große Fantasie entwickelt“. Er habe ihr die Wohnungstür eingetreten, plötzlich auf dem Balkon eines Nachbarn gestanden, sie festgehalten und ihr gedroht, ihren Eltern würde was passieren, und er würde sie „abstechen“, wenn sie sich noch einmal körperlich gegen ihn wehren würde. Einmal habe er ohne einzuschreiten zugelassen, dass sein Hund sie gebissen habe. Sie habe ihn daraufhin angezeigt. Über einen längeren Zeitraum sei er dann nahezu täglich auf ihrer Straße aufgetaucht, habe sie observiert und sei ihr nachgegangen – verbunden mit der Forderung, ihre Strafanzeige zurückzunehmen. Wenn er mal nicht dagewesen sei, hätten das „Terrorisieren“ zwei andere Personen übernommen (unter ihnen sein Mitarbeiter und Freund Sven Sch.), die in ihrem Wohnumfeld mit Hunden Patrouille gelaufen seien oder sich an der Straßenecke mit Blick auf ihre Wohnung postiert hätten. Das habe erst nach dem Anschlag allmählich aufgehört. Insgesamt habe die Bedrohung über mehrere Monate angehalten. Im August 2000 sei S. noch einmal hinter ihr hergelaufen, mit einem behördlichen Papier in der Hand, das irgendwas mit den Ermittlungen wegen Mordversuchs gegen ihn zu tun gehabt hätte. Irgendwie sei er stolz darauf gewesen, verdächtigt worden zu sein. Ebenso auf den „Medienrummel“ und die Demonstration am 5. August 2000. Er habe aber auch wissen wollen, ob sie die Polizei gerufen habe.
Hinweise auf eine mögliche Täterschaft konnte die damals 30-jährige Zeugin nicht geben. Offenbar hatte sie aber die Möglichkeit, dass S. der Täter sei, auch von sich aus in Betracht gezogen. Sie hatte sich laut Aktenlage nach dem Anschlag diesbezüglich an den für sie zuständigen „Revierpolizisten“ gewandt.
Rudolf-Heß-Zitat-Tätowierung?
Nach der Entlassung der ersten Zeugin und vor dem Aufrufen der zweiten sprach der Vorsitzende Richter noch den Angeklagten auf die von der Tätowiererin L. auf dem 10. Prozesstag erwähnte und laut ihren Angaben von ihr persönlich angebrachte Rudolf-Heß-Zitat-Tätowierung an seiner Hüfte an. Ralf S. entgegnete, er habe nie eine derartige Tätowierung gehabt. Zum Entsetzen seiner Verteidiger_innen setzte er übergangslos zu einem seiner Redeschwalle an, kam aber nur bis zu dem Satz „Der einzige Rudolf, den ich kenne, ist ein Rentier“, da Rechtsanwältin Karaman ihn mit einem lauten und erbosten „Herr S.!“ zu stoppen vermochte. Seinen Auftritt hatte S. dennoch gehabt, und er genoss ihn sichtlich. Eine Überprüfung der sich widersprechenden Aussagen in einer Prozesspause durch Dr. Sven-Uwe Kutscher ergab, dass S. tatsächlich keine entsprechende Tätowierung im Hüftbereich hat. Es sei dort auch nichts entfernt worden, so Kutscher.
Die zweite Zeugin
Noch schlimmer als der ersten Zeugin erging es offenbar im Jahr 2000 der heute 38-jährigen zweiten Zeugin. Sie habe S. 1993/1994 [sic!] über eine Freundin kennengelernt und sei damals etwa ein Jahr mit ihm liiert gewesen. Ihr habe die Beziehung damals viel bedeutet – S. sei aber offenbar nur an einer „Bettgeschichte“ interessiert gewesen. In den Jahren danach habe sie mal mehr, mal weniger intensiv Kontakt zu ihm gehabt, zum Zeitpunkt des Anschlags sporadisch. Nach dem Anschlag habe sie schnell den Verdacht gehabt, dass Ralf S. der Täter sein könnte. S. sei ein „durchgeknallter, waffenfanatischer Psycho“, der mit allen möglichen Waffen hantiere. Er sei frustriert gewesen, weil er Ärger bei der Bundeswehr gehabt habe. Alles hätte sich bei ihm um die Bundeswehr gedreht, er würde „in einer anderen Welt“ leben: „Der hat Sachen gemacht, die macht kein normaler Mensch. Wenn der was vorhatte, dann hat der das durchgezogen, da ging der über Leichen.“ Er habe sich „tierisch“ über die „vielen Ausländer“ aufgeregt. Es müsse, so S., mal was passieren gegen die „Dreckskanaken“, sonst ginge Deutschland „vor die Hunde“. Sie sei oft mit ihm und seinem Hund Spike spazieren gewesen. „Wenn uns ein Dunkelhäutiger begegnet ist, ist Spike direkt drauf angesprungen.“ Einmal wäre es echt knapp gewesen, glücklicherweise sei der Hund da aber angeleint gewesen.
Nach dem Anschlag habe sie sich darin erinnert, dass S. sie kürzlich gefragt hätte, welches Verkehrsmittel sie eigentlich benutzen würde, wenn sie zu ihm fahren würde. Es habe da mehrere Möglichkeiten gegeben. Sie habe „mit dem Bus“ geantwortet.
Die Zeugin berichtete, dass sie früher in der rechten Skinhead-Szene aktiv war, 2000 aber schon „raus“ gewesen sei. S. habe sich abfällig über ihre damalige Gruppe geäußert. Die Leute seien „nur Mitläufer, die machen ja nichts“. In Sachen „Ausländer“ müsste „mal wer reinhauen, die müssen alle ins KZ“, habe S. ihrer Erinnerung nach etwa geäußert.
Sie habe in der Zeit vor dem Anschlag eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin bei den Johannitern gemacht und sei dann zum Roten Kreuz gewechselt. Bei den Johannitern habe sie auch einige Polizeibeamte kennengelernt. Am Tag nach dem Anschlag sei sie ebenso wie andere Kolleg*innen auf einer Hochzeit eingeladen gewesen und habe dort mit ihr bekannten Polizisten von der Altstadtwache über Ralf S. gesprochen – über ihren Verdacht und dass sie ihn kennen würde. Letztendlich wäre daraus der Vorschlag des Dienststellenleiters der ihr bekannten Polizisten erwachsen, näher an Ralf S. heranzurücken, um möglicherweise Hinweise auf seine Täterschaft zu bekommen. Sie habe sich zögerlich dazu bereit erklärt, unter der Bedingung, dass ihr Name nirgendwo auftauchen, also Ralf S. niemals davon erfahren dürfe. S. habe ihr aber nichts über den Anschlag erzählt. Sie habe aber ihren Bekannten bei der Polizei berichtet, wer so alles im Laden von Ralf S. ein und aus gegangen sei.
Das Ganze habe aber in einem Desaster geendet. S. habe Kenntnis von ihrem Kontakt zur Polizei erhalten, mit dem Ergebnis, dass er sie zunächst damit telefonisch konfrontiert habe. Anschließend sei sie im Hausflur vor ihrer Wohnung von zwei oder drei Personen überfallen und mit einem scharfen Gegenstand im Gesicht verletzt worden, verbunden mit der Ansage, dass dies nur der Anfang sei, wenn sie nicht ihren Mund halten würde. Und mit einem eindeutigen Hinweis („Schöne Grüße vom grenzdebilen Psychopathen“), wer den Überfall angeordnet habe: Ralf S. Sie habe S. zudem „am Geruch und Räuspern“ erkannt und sei deshalb fest überzeugt, dass er direkt am Überfall beteiligt war. Unklar blieb, wem gegenüber sie zuvor die Bezeichnung „grenzdebiler Psychopath“ als Charakterisierung von Ralf S. benutzt hatte und woher dieser davon wusste. Aufgeflogen sei sie offenbar, als sie einmal ihr „Rotes Kreuz“-Fahrzeug vor dem Militarialaden abgestellt hätte und ausgerechnet hier durch Zufall auf den (offenbar nicht über ihre Mission informierten) Staatsschutzbeamten und Johanniter-Zugführer Frank S. (siehe Bericht 4. Prozesstag) gestoßen sei. Der Staatsschutzbeamte Frank S. kannte sie über die die Johanniter und habe sie angesprochen, was sie dort beim Laden von Ralf S. tun würde. Später dann habe er sie außer Sichtweite des Ladens noch einmal ausführlicher zur Rede gestellt. Sie habe ihm alles erzählt, ihre Aussage sei dann zu Protokoll genommen worden. Es wäre, so sei ihr von dem Polizeibeamten Frank S. damals eröffnet worden, nicht möglich, ihren Namen heraus zu halten, so die Zeugin.
Aus den Vorhalten des Vorsitzenden Richters ging hervor, dass das zufällige Aufeinandertreffen der Zeugin mit Frank S. am 10. August 2000 stattgefunden hatte. Am 13. August 2000 hatte Ralf S. der Zeugin dann telefonisch zu verstehen gegeben, dass er von ihrer Zusammenarbeit mit der Polizei wisse und dass das Konsequenzen habe. Der Überfall auf sie fand am 15. August 2000 statt. Nachdem die Täter von ihr abgelassen hätten, so die Zeugin, habe sie sich in ihre Wohnung geflüchtet und einen ihrer Bekannten von der Altstadtwache angerufen. Nach ihrer ambulanten Behandlung im Krankenhaus habe sie bei der Polizei zu dem Überfall ausgesagt. Nach diesem Vorfall habe sie nicht mehr alleine ihre Wohnung verlassen. Die Staatsschutzbeamten Frank S. und insbesondere Michael G. hätten sich um sie gekümmert, auch privat, sonst wäre sie überhaupt nicht mehr raus gekommen. Später sei sie dann weggezogen. Ihr Fazit: „Zukünftig werde ich blind durch die Gegend laufen, solange es nicht mich und meine Familie betrifft.“
Der Zeuge André „Gonzo“ M.
Als dritter Zeuge sagte am elften Hauptverhandlungstermin am 5. März 2018 André „Gonzo“ M. aus, im Jahr 2000 „Mitgliedschaftsanwärter“ der neonazistischen „Kameradschaft Düsseldorf“ um Sven Skoda und auf Skoda angesetzter V-Mann („Apollo“) des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes – 1999 während seiner Bundeswehrzeit vom MAD angeworben. Eine Aussagegenehmigung benötige er nicht, so der Vorsitzende Richter.
Entgegen den Angaben seines damaligen V-Mann-Führers, M. sei zur Tatzeit mit ihm zusammen im Düsseldorfer Hafengebiet unterwegs gewesen, gab M. vor Gericht an, zur Tatzeit in seiner Wohnung in Düsseldorf-Derendorf gewesen zu sein. Er sei in der Szene nie in Verdacht gekommen, ein Spitzel zu sein, im Gegensatz zu Skodas damaliger Freundin Vanessa L.
M. betonte mehrmals, dass er sich an nicht mehr viel erinnern könne. Er habe damals viel getrunken, da 1998 seine Mutter verstorben und es insgesamt eine schwierige Zeit für ihn gewesen sei. Zudem habe er alles von damals vergessen wollen. Er habe auch nicht damit gerechnet, in dem Verfahren als Zeuge geladen zu werden.
Der heute 40-jährige Maler und Lackierer aus Krefeld gab an, dass Ralf S. in der damaligen Neonazi-Szene als „Spasti und Spinner“ gegolten habe. Grund dafür sei dessen äußerst extremes Denken gewesen, dass teilweise sehr lächerlich gewirkt habe. Er (M.) habe auch nichts mit dem militärischen Gehabe von S. anfangen können. Insgesamt sei S. nicht wirklich ernst genommen worden, er habe auch nie an Treffen der „Kameradschaft“ teilgenommen. S. habe sich mit Arbeitslosen – seiner „Krakenarmee“ – umgeben, die zu ihm aufgeschaut hätten. Leute wie S. habe man nicht brauchen können. Sven Skoda hingegen habe ihn sehr beeindruckt, der sei „ein glänzender Redner“, sagte M. vor Gericht aus. Man habe „Köpfe wie Sven Skoda und Udo Birr“ gebraucht.
Irgendwie habe er dann später selbst zur „Krakenarmee“ gehört. Kennengelernt habe er S. auf einem kleinen Konzert in Bilk. Es sei ein Konzert mit „legalen Texten“ gewesen, „deutschdenkend, aber nicht faschistisch“. Er sei damals auf Arbeitssuche gewesen, Skoda habe ihn deshalb mit Ralf S. bekannt gemacht. Zuerst sei er nicht so begeistert gewesen, habe dann aber doch im Auftrag von S. den Bauschutz von zwei Objekten übernommen, allerdings nur für wenige Wochen.
M. gab an, nach dem Anschlag nur ein einziges Mal mit S. telefoniert zu haben, anschließend habe er keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt. Dem Zeugen M. wurden hierzu von der Strafkammer Mitschnitte von zwei Telefonaten zwischen ihm und dem Angeklagten als Tondokumente vorgehalten. In dem ersten informierte M. nach dem Anschlag den Angeklagten darüber, dass er eine Vorladung als Zeuge bekommen habe. In einem weiteren Telefonat zwischen den beiden erklärte Ralf S., dass M. bei seiner Vernehmung angeben solle, dass er (S.) auch mit „Ausländern“ zusammenarbeite, auch Punker seinen Laden besuchen würden und M. nichts von Waffen und Sprengstoff wisse. Auf Nachfrage der Nebenklage, warum er einerseits den Angeklagten nicht ernst genommen habe und andererseits Anweisungen für seine Aussage von ihm entgegengenommen habe, antwortete M., dass er damals nun einmal für Ralf S. gearbeitet habe und dies eben dazugehöre. Von der Vorladung habe er Ralf S. erzählt, weil er gehofft habe, dass er so ein Treffen mit ihm erreichen könne. Ralf S. habe ihm Arbeitslohn geschuldet, den er bei diesem Treffen habe einfordern wollen. Das habe aber nicht geklappt. Später habe er aber sein Geld doch noch von Sven Sch. bekommen.
Auf die Frage des Vorsitzenden, ob Ralf S. sich über eine bestimmte Personengruppe aufgeregt habe, gab der Zeuge an, dass dieser sich „über die Kanaken“ geärgert habe. Auf die Nachfrage, ob M. dies eingrenzen könne, entgegnete der Zeuge, dass es sich um die Schüler*innen einer in der Nähe seines Ladens gelegenen Schule gehandelt habe. Dabei habe es sich möglicherweise um eine Sprachschule gehandelt, da sei er sich jedoch nicht mehr ganz sicher, möglicherweise sei es auch eine andere Einrichtung gewesen. Auf die Nachfrage des Vorsitzenden, wie der Zeuge auf den Begriff „Sprachschule“ komme, antwortete M., dass Ralf S. sich darüber aufgeregt habe, dass diese Personen permanent an seinem Laden vorbeigelaufen seien. Dies habe S. „angekotzt“. Von Auseinandersetzungen mit diesen Leuten habe S. ihm allerdings nichts berichtet. Auf erneute Nachfragen, ob seine Erinnerungen an die „Sprachschule“ aus dem Jahr 2000 stammen würden oder ob er diesen Begriff aus anschließenden Vernehmungen kenne, gab der Zeuge an, dass er sich nicht sicher sei und es durchaus sein könne, dass bei seiner letzten polizeilichen Vernehmung im vergangenen Jahr darüber gesprochen worden sei. Auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft gab er aber an, dass er sich daran erinnern könne, dass Ralf S. sich über „Ausländer“ geärgert habe, die sich vor seinem Laden aufhielten. Auch die Verteidigung griff dieses Thema auf und fragte den Zeugen, ob ihm die Sprachschule möglicherweise aus der aktuellen Presseberichterstattung bekannt sei. Der Zeuge erklärte jedoch, dass er nichts zu dem Prozess lesen würde. Er distanziere sich von dem Vorgefallenen und wolle seine Familie, die nichts von all dem wisse, raus halten.
Außerdem wurde dem Zeugen durch den Vorsitzenden der Sachverhalt geschildert, bei dem sich im Herbst 1999 zwei Personen mit Hunden vor der Sprachschule gegenüber dem Militarialaden aufgehalten haben sollen. Dieser Vorfall war M. bereits aus polizeilichen Vernehmungen bekannt. Er gab ungefragt an, dass er 1999 noch bei der Bundeswehr gewesen sei und schon deshalb nicht einer der Männer gewesen sein könne.
Auf Vorhalt der Verteidigung bestätigte der Zeuge, dass es nach dem Anschlag noch ein Treffen mit dem VS gegeben habe, in dem er mitgeteilt habe, dass er keine Hinweise auf eine Täterschaft von Ralf S. habe. Für dieses Treffen habe er auch Geld vom VS bekommen.
Insgesamt verfasste der Verfassungsschutz 57 Berichte, die auf den Angaben von M. beruhten. Nach Angaben der Verteidigung wurde Ralf S. in nur einer dieser Meldungen erwähnt, im Zusammenhang mit dem bereits erwähnten Konzert am 20. April 2000 in einem Gartenlokal an der Völklinger Straße in Düsseldorf.
Zu seiner eigenen Rolle in der neonazistischen Szene gab M. an, dass er 2000 im „einjährigen Aufnahmezyklus“ der „Kameradschaft Düsseldorf“ gewesen sei, also nicht zum Kern der Gruppe gehört habe. Das Jahr habe er nicht durchgehalten, er habe sich auch nur wenig um politische Aktivitäten gekümmert, sei nur wenige Male auf Demos gewesen und habe sich mehr für Konzerte interessiert. Zu Skoda habe er sieben bis acht Monate engeren Kontakt gehabt, ihn habe er in der Düsseldorfer Altstadt im „Papidoux“ kennengelernt. Zum Tatzeitpunkt habe er nur noch „leichten Kontakt“ zu Skoda gehabt, er habe mit ihm nicht über den Anschlag gesprochen. Der Anschlag sei in der Szene nicht gefeiert worden, er sei sogar als negativ für die Szene bewertet worden.
Seine Kontakte zu Skoda und dessen Leute seien dann immer schwächer geworden, er habe sich aus der Szene zurückgezogen. 2002 sei er schon gar nicht mehr dabei gewesen. 2003 oder 2004 sei er dann aus Düsseldorf weggezogen.
Einschätzung des Psychiatrischen Sachverständigen
Im Anschluss an die Vernehmung von M. gab der Psychiatrische Sachverständige Dr. Sven-Uwe Kutscher eine vorläufige Einschätzung zu Ralf S. ab. Mit diesem hatte er im Zeitraum von September bis November 2017 in der JVA an sechs Terminen insgesamt 18 Stunden lang gesprochen. Dabei hätten sich, so Kutscher, keine Hinweise auf eine relevante psychische Störung des Angeklagten ergeben.
Zu Beginn sei Ralf S. ihm gegenüber misstrauisch gewesen und habe sich vergewissern wollen, ob der Sachverständige von seiner Unschuld überzeugt sei. Nachdem er ihm seine Rolle als Sachverständiger erläutert hatte, habe S. problemlos mitgewirkt und sich insgesamt freundlich und kooperativ gezeigt. Ein Intelligenztest nach verschiedenen Methoden habe ergeben, dass der IQ von Ralf S. im Durchschnitt bzw. ganz leicht unterhalb des Durchschnitts liege. Die Schilderungen von Ralf S. zu seiner Kindheit und Jugend hätten nicht auf gravierende Auffälligkeiten und psychische Krankheiten hingewiesen.
Verschiedene Tests zur Persönlichkeit und die Gespräche mit Ralf S. hätten eine narzisstische Tendenz des Angeklagten gezeigt. Dieser stelle sich oftmals übertrieben positiv dar und habe ein gesteigertes Interesse daran, im Mittelpunkt zu stehen. Außerdem fühle er sich häufig benachteiligt, sei empfindlich für Kränkungen und habe ein erhöhtes Bedürfnis nach Zuneigung. Beziehungen zu jungen Frauen habe der Angeklagte dazu genutzt, sich selber aufzuwerten. Diese seien für ihn leichter zu beeinflussen gewesen. Außerdem habe der Angeklagte immer wieder paranoide Vorstellungen geäußert, beispielsweise hätte er den Anschlag am Wehrhahn als „Inside Job“ bezeichnet.
Eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur liegt nach Ansicht des Sachverständigen bei Ralf S. nicht vor. Er könne durchaus Empathie entwickeln. Den Opfern des Anschlags gegenüber habe sich der Angeklagte jedoch nicht empathisch gezeigt.
Zu seiner politischen Einstellung habe der Angeklagte ihm gegenüber betont, dass er ausländische Freunde und Bekannte habe und auf ein Verhältnis mit einer jungen Frau jüdischen Glaubens hingewiesen. S. schätze sich selber als „Patriot“, aber nicht als „Nazi“ ein. Als Soldat habe er einen Schwur geleistet, der BRD zu dienen. Dieser habe für Ralf S. nach wie vor Gültigkeit. Das Hakenkreuz, das er sich habe tätowieren lassen, stamme aus der indischen Kultur.
Zum Anschlag habe Ralf S. angegeben, dass er zum Tatzeitpunkt zu Hause gewesen sei. Nach Ansicht von Ralf S. wolle der Zeuge Andreas L., der ihn belastet hatte, sich nur aufspielen und die Belohnung kassieren und sollte selber von dem Sachverständigen untersucht werden.
Auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft an den Sachverständigen, ob er Ralf S. auf Widersprüche zwischen seinen Angaben und der Aktenlage hingewiesen habe, gab er an, dies erst im letzten Gespräch gemacht zu haben, da er befürchtet habe, dass Ralf S. darauf gekränkt reagiere und nicht mehr an der Befragung teilnehme. Ralf S. habe die Widersprüche dann damit begründet, dass die anderen Personen lügen würden und zum Teil psychisch krank wären. Insgesamt passe es zum Persönlichkeitsbild des Angeklagten, dass er sich anders wahrnehme als andere das tun würden.