13. Prozesstag im Wehrhahn-Prozess – Landgericht Düsseldorf, 22. März 2018

Beim 13. Hauptverhandlungstag standen zwei Polizeibeamt*innen der vierköpfigen „Ermittlungskommission Furche“ („EK Furche“) im Fokus der Beweiserhebung vor Gericht. Die „EK Furche“ war im Sommer 2014 ins Leben gerufen worden, nachdem Andreas L., damals Häftling in der JVA Castrop-Rauxel, gemeldet hatte, dass sein Mitgefangener Ralf S. ihm gegenüber mit seiner Täterschaft beim Wehrhahn-Anschlag geprahlt habe. Im Gegensatz zur „EK Acker“, die ab August 2000 eingesetzt war, wurde die Öffentlichkeit in dieser zweiten Ermittlungs-Entwicklung ab Juni 2014 nicht darüber informiert, dass es die „EK Furche“ gab. Deren Aufgabe war es, Beweismittel zusammenzutragen, um eine Festnahme und Anklage von Ralf S. zu ermöglichen – was dann ja auch geschah. Bei der Befragung der beiden Polizeibeamten der „EK Furche“ ging es dem Gericht offenbar besonders darum, die Glaubwürdigkeit wichtiger Zeuginnen besser bewerten zu können, die von den Beamten der neuen Ermittlungskommission vernommen worden waren – und auch bereits im Gerichtsprozess ausgesagt haben. Vor Beginn der jeweiligen Befragungen der Beamten erläuterte der Vorsitzende Richter Drees, dass es schwerpunktmäßig um die Angaben der Zeuginnen Doreen Sch. [9. Prozesstag] und L. [10. Prozesstag] gehen würde.

Bevor aber die beiden Polizisten aus der „EK Furche“ aussagten, wurde der Zeuge Enno S. befragt. Er war derjenige, den Ralf S. am Tattag um 15.07 Uhr – etwa vier Minuten nach der Detonation der Bombe – aus seiner Wohnung auf der Gerresheimer Straße 13 über seinen Festnetzanschluss angerufen haben soll. S. hatte aber wohl nur einen Anrufbeantworter erreicht.

Der Zeuge Enno S. (Rentner)

 

Der Zeuge Enno S. (78) gab vor Gericht an, er habe im Sommer 2000 über Anzeigenblätter und Tageszeitungen ein ehemaliges Militärfahrzeug der britischen Rheinarmee, einen Landrover, für 7.000 Euro zum Verkauf angeboten. In den Anzeigen sei seine Telefonnummer angegeben gewesen. Unter diesem Anschluss sei immer auch ein Anrufbeantworter eingeschaltet gewesen, der in Abwesenheit Anrufe aufzeichnete. Ob er im Sommer 2000 ein Telefon gehabt habe, das die Telefonnummern eingehender Anrufe speichere und über ein Display einblende, konnte der Zeuge nicht mit Gewissheit sagen. Er vermutete jedoch, dass er damals nur den Anrufbeantworter gehabt habe. Er schlussfolgerte, dass er eine darauf hinterlassene Rufnummer zurückgerufen habe, unter der ein Kaufinteressent angerufen habe. Bei dem Rückruf – Richter Drees ließ kurz das Tondokument der Telekommunikationsüberwachung einspielen – habe ihm der Kaufinteressent berichtet, dass er Detektiv sei und nach einem geländetauglichen Fahrzeug für seine Arbeit suche. Es sei dann aber bei diesem einen Telefonat geblieben. Der Kaufinteressent habe sich nach dem kurzen Gespräch nicht wieder gemeldet, er habe sich das Fahrzeug nicht einmal angeschaut. Er (Enno S.) habe sich damals noch gewundert, wozu ein Detektiv ein geländetaugliches Fahrzeug benötigen würde.

 

Der Zeuge Udo Moll (Kriminalbeamter, „EK Furche“)

 

Als nächster Zeuge war dann Udo Moll (51), Leiter der „EK Furche“, an der Reihe. Moll berichtete auf Bitte des Vorsitzenden zunächst über das bereits bekannte Zustandekommen der „EK Furche“. Er sei jedoch nicht von Beginn an dabei gewesen. Er sei erst später dazugekommen, als er zum Leiter des Polizeilichen Staatsschutzes in Düsseldorf ernannt worden sei. Zugleich habe er dann auch die Leitung der „EK Furche“ übernommen. Er habe sich noch einen langjährigen und erfahrenen Kollegen vom KK11, Kurt N., hinzu geholt. Insgesamt seien sie zu viert in der „EK Furche“ gewesen. Sie hätten auch keine Eile und keinen öffentlichen Druck gehabt, da die Öffentlichkeit ja von der Wiederaufnahme der Ermittlungen nichts gewusst habe. So habe man in Ruhe arbeiten können und sich zunächst noch einmal die 70.000 Blatt Aktenmaterial der „EK Acker“ angesehen. Ein Problem der „EK Furche“ sei die Vernehmung von Zeug*innen gewesen, da hierbei die Gefahr bestanden hätte, dass Ralf S. von ihnen nach ihrem Kontakt mit der Polizei über ihre Zeug*innen-Vernehmung zum Wehrhahn-Anschlag hätten informiert werden können. Die „EK Furche“ habe also befürchten müssen, dass Ralf S. auf diesem Wege Kenntnis von den Ermittlungen erlangen könnte. Man habe deshalb auch erst ein Jahr nach der Wiederaufnahme der Ermittlungen damit begonnen, Zeug*innen zu vernehmen. Die gesamte Zeit über habe man die Kommunikation des Tatverdächtigen durch eine Telekommunikationsüberwachung mitgeschnitten, zeitweise habe es auch eine Innenraumüberwachung seines PKW gegeben. Ein anfangs auf S. angesetzter verdeckter Ermittler des LKA sei nach zwei bis drei Monaten wieder abgezogen worden. Moll erläuterte, dass er den Einsatz verdeckter Ermittlungen bei diesem Tatverdächtigen für falsch gehalten habe: Mit derartigen Methoden sei an eine erfahrene Person wie S. nicht ranzukommen, das habe sich schließlich schon einmal gezeigt, so der Zeuge.

Am 26. Oktober 2016 habe man S. dann mit dem Tatverdacht konfrontieren müssen. Denn wie befürchtet, hätte einer der Zeugen, Patrick E. [7. Prozesstag], Ralf S. über seinen Kontakt mit der Polizei informiert. Die „EK Furche“-Beamt*innen hatten E. zuvor vernommen. Als ihnen klar war, dass Ralf S. über die wiederaufgenommenen Ermittlungen Bescheid wusste, hätten sie bei der „EK Furche“ Sorge gehabt, dass S. seine ehemalige Freundin Corinna D. und seine Ex-Frau Kathrin als Hinweisgeberinnen verdächtigen und ihnen etwas antun könnte. Darum habe man S. vor seiner Wohnung in Ratingen abgepasst. Man habe ihm klar gemacht, dass weder seine Ex-Freundin noch seine Ex-Frau die Wiederaufnahme der Ermittlungen ausgelöst hätten. Auslöser sei vielmehr er selbst gewesen, als er in der JVA Castrop-Rauxel einem Mithäftling gegenüber mit der Tat geprahlt habe. S. habe alles abgestritten und sei nicht bereit gewesen, zur Vernehmung ins Polizeipräsidium mitzukommen.

 

Bei seiner Festnahme durch ein MEK am Vormittag des 31. Januar 2017 habe S. keinen Widerstand geleistet und den gelungenen Einsatz sogar ausdrücklich gelobt („Gut gemacht!“). Den umfangreichen Haftbefehl habe man ihm vorlesen müssen, da er diesen nicht habe lesen wollen. Zu allem und jedem habe er eine spontane „Erklärung“ gehabt, nur ein einziges Mal sei er offenbar sprachlos gewesen: als er damit konfrontiert worden sei, dass er die Kölner Anzeigenzeitung „Marktplatz“ bezogen habe und dass in einem Exemplar des „Marktplatzes“ die Bombe eingewickelt gewesen sei. S. habe wohl nicht damit gerechnet, so Moll, dass es möglich sei, die Zeitung aus winzigen Schnipseln zu identifizieren. Das sei ein „Volltreffer“ gewesen. Die Information mit dem „Marktplatz“ sei bis dahin auch nicht öffentlich bekannt gewesen.

 

Bezüglich des Sprengsatzes sei für die „EK Furche“ insbesondere der Düsseldorfer Herbert L. von Interesse gewesen, so Moll. Dieser habe 2002 versucht, einem verdeckten Ermittler ein Maschinengewehr, 47 Kilogramm TNT und eine Kiste elektronische Sprengzünder zu verkaufen. Einer der Zünder habe in der Kiste gefehlt. Laut der Operativen Fallanalyse (OFA) des LKA könnte ein derartiger Zünder beim Wehrhahn-Anschlag verwendet worden sein. Bei S. sei bei einer Hausdurchsuchung nach dem Anschlag eine technische Anleitung für genau einen solchen Sprengzünder gefunden worden [siehe Bericht zum 3. Prozesstag]. S. und Herbert L. hätten einander gekannt, soviel habe man bei der „EK Furche“ sicher gewusst. Sie hätten aber nicht ermitteln können, ab wann L. und S. einander bekannt waren – insbesondere, ob der Angeklagte L. bereits vor dem Tattag gekannt hatte und er über diesen das TNT und/oder den Zünder bezogen haben könnte. [Anmerkung: Ralf S. hatte vor Gericht angegeben, L. erst 2002 kennengelernt zu haben. Dieser habe dann später auf der Charlottenstraße eine Autowerkstatt betrieben]. Herbert L. habe für den Sprengstoff- und Waffenhandel, der bei dem Scheinkauf aufgeflogen sei, eine mehrjährige Haftstrafe kassiert. Später habe er sich dann abgesetzt, er sei seit längerer Zeit unauffindbar. Das beim Anschlag benutzte TNT, so Moll, könnte laut Einschätzung der OFA aus Handgranaten stammen.

 

Im folgenden Teil der Vernehmung von Udo Moll ging es dann um die polizeilichen Vernehmungen der Zeugin L., die im Jahr 2000 ein Tattoo-Studio auf der Kölner Straße betrieb und mit Ralf S. befreundet war. Bei den ersten beiden Vernehmungen im Jahr 2000 habe sich L. hinter Ralf S. gestellt und ihn geschützt, so Moll. Davon sei sie dann aber immer mehr abgerückt. Leider sei sie Ende 2001 in ihrer dritten Vernehmung nicht damit konfrontiert worden, dass S. am Tattag bereits um 15.07 Uhr von zuhause telefoniert habe. Das habe man im Juni 2015 nachgeholt. Sie habe daraus 2015 dann den Schluss gezogen, dass S. zur Tatzeit nicht in ihrem Laden gewesen sein könne. Ohnehin hätte sie sich, so Moll, bezüglich der Uhrzeiten zu keinem Zeitpunkt wirklich festgelegt, sondern nur grobe Zeitangaben gemacht. Aus den Akten sei erkennbar gewesen, dass sich bei L. bereits 2001 Zweifel aufgetan hätten. Bereits 2001 habe L. beispielsweise ausgesagt, dass ihr S. am Tattag mehrmals von einem Geschäftstermin mit einer Auftraggeberin erzählt habe, was sie sehr gewundert habe. Auch hier sei 2001, so Moll, ärgerlicherweise von den Kolleg*innen nicht nachgehakt worden, obwohl sich hier ein „typisches Täterverhalten“ offenbart hätte [gemeint ist: ein Täter/eine Täterin gibt seinem/ihrem Umfeld schon vor der Tat eindrücklich bekannt, wo er/sie sich zum Tatzeitpunkt aufgehalten haben will, um so ihr späteres Erinnern und Aussageverhalten schon im Vorfeld zu lenken].

Die „EK Furche“ habe L. dann erstmals im Juni 2015 befragt, ein Jahr später sei eine weitere Vernehmung gefolgt. Sie habe zuerst versucht, sich einem Gespräch zu entziehen, habe sich dann aber von der Wichtigkeit des Anliegens überzeugen lassen und flüssig erzählt. Er sei erstaunt gewesen, an wie viele Details sie sich nach so langer Zeit noch erinnert habe. Er habe daraus den Schluss gezogen, dass sie sich sehr mit dem Thema beschäftigt habe. Sie sei nicht gut auf S. zu sprechen gewesen und habe Angst gehabt, dass „er noch mal vor der Tür steht“. Eine wichtige neue Erkenntnis aus der Vernehmung sei gewesen, dass sie angegeben hätte, Ralf S. habe ihr damals berichtet, kurz vor einer Hausdurchsuchung Handgranaten in seiner Wohnung versteckt zu haben. Das habe sie ihren Angaben zufolge 2000/2001 verschwiegen, da sie damals gedacht habe, S. könne nicht der Täter sein, sonst hätte die Polizei ihn ja nicht gehen lassen. Außerdem habe S. sie unter Druck gesetzt.

Im Juni 2016 habe L. von sich aus dann außerdem berichtet, dass S. ihr damals angekündigt habe, „Kanaken in die Luft sprengen“ zu wollen. Wieso sie das nicht bereits 2015 erzählt habe, sei in der Vernehmung durch die „EK Furche“ allerdings unklar geblieben. Eventuell habe hierbei der Vorhalt der Bedrohung von Sprachschüler*innen gegenüber dem Laden von S. eine Rolle gespielt, das könnte für L. 2016 der „zündete Punkt, der auslösende Faktor“ gewesen sein. Sie habe aber nichts davon erzählt, dass sich ihr damaliger Freund Patrick E. ihren Hund ausgeliehen habe, weil Ralf S. ihn darum gebeten habe, für ihn jemandem Angst zu machen. [Eben davon hatte L. bei ihrer Aussage vor Gericht berichtet.] Außerdem habe L. mehrfach auf eine damalige Freundin [siehe 10. Prozesstag] hingewiesen, der sie ihre Zweifel an der Unschuld von S. bereits damals mitgeteilt habe.

Nach der bislang nicht identifizierten Person „Pierre“ befragt, habe L. angegeben, dass bei ihr im Haus ein Pierre gewohnt habe, der einen Neufundländer besessen hätte.

 

Anschließend wurde Moll zur Vernehmung von Doreen Sch. befragt, mit der Ralf S. im Jahr 2000 liiert war. Moll berichtete, dass er und sein Kollege N. zwar die ersten beiden Befragungen von Doreen Sch. durchgeführt hätten, weitere Vernehmungen aber dann an die Kollegin B. und den Kollegen K. abgegeben hätten, da er den Eindruck gehabt hätte, nicht wirklich an die Zeugin ranzukommen. Er und sein Kollege N. hätten Doreen Sch. erstmals am 16. Juni 2015 vernommen. Insgesamt habe es seit 2000 sieben Vernehmungen gegeben. Doreen Sch. habe sich rückblickend als „rosarot“, „naiv“ und „von Ralf S. manipuliert“ bezeichnet. Sie habe berichtet, dass dieser extrem „ausländerfeindlich“ sei, dennoch aber an einem von einem „Ausländer“ betriebenen Kiosk eingekauft habe.

Hier fragte der Vorsitzende nach, wie es sich denn mit Doreen Sch.' Aussage zur Anzeigenzeitung „Marktplatz“ verhalten habe. Moll berichtete, dass sich Doreen Sch. sicher gewesen sei, dass S. auch die Anzeigenzeitung „Marktplatz“ erworben habe. Sein Kollege N. habe in seiner Frage an sie einen Fehler eingebaut und nach „Marktkauf“ statt nach „Marktplatz“ gefragt. Sie habe das sofort korrigiert, habe das Anzeigenblatt also gekannt und es auch beschreiben können.

Doreen Sch. habe zudem berichtet, dass S. ihr einmal eine Handgranaten-Attrappe gezeigt habe. Zudem habe er ihr nach einer Hausdurchsuchung berichtet, er habe in einem Glas deponierte Patronen „im Modder“ vor der Polizei verstecken können.

Doreen Sch. habe Sven Skoda und Sven Sch. gekannt, sich aber merkwürdigerweise nicht an den bislang nicht identifizierten „Pierre“ erinnern können, obwohl sie doch mit ihm telefoniert habe. Als man ihr eine Phantomzeichnung des mutmaßlichen Wehrhahn-Täters gezeigt habe, hätte sie bekundet, dass die gezeichnete Person wie Ralf S. aussehen würde.

 

Auf Fragen des Oberstaatsanwalts gab Moll an bzw. bestätigte, dass

- Ralf S. am Tag nach der „Gefährderansprache“ im Oktober 2016 zur Adresse der ehemaligen Autowerkstatt von Herbert L. gefahren sei. Später danach befragt, habe er angegeben, in einem Pornokino gewesen zu sein.

- Ralf S. bestritten habe, schweißen zu können. Er habe es eigenen Angaben zufolge zwar mal versucht, das angeschweißte Teil sei aber bereits am nächsten Tag wieder abgefallen.

- S. bestritten habe, den „Marktplatz“ erworben zu haben.

- die Zeugin L. angegeben habe, dass Ralf S. bei seinem Anruf am 27. Juli 2000 um 15.34 Uhr geäußert habe, dass er Angst habe, festgenommen zu werden. Zu diesem Zeitpunkt sei, so Moll, weder die Ursache der Detonation klar gewesen, noch sei bekannt gewesen, dass „Ausländer“ betroffen waren.

- L. mehrfach von S.' Äußerung, „Kanaken wegsprengen“ zu wollen, gesprochen habe. Das sei wortgetreu protokolliert worden. Sie habe gedacht, es würde sich um ausländische Nachbarn von S. handeln.

- eine damalige Freundin von L., der diese ihren Verdacht mitgeteilt habe, bestätigt habe, dass L. u.a. irgendwas mit einer Geschäftskundin von S. und irgendwas mit Handgranaten komisch gefunden habe. [Vor Gericht konnte oder wollte sich diese Zeugin daran nicht mehr erinnern]. Diese Frau habe einen ängstlichen Eindruck gemacht und Sorge um ihre jugendliche Tochter gehabt.

- dass der Leiter der Sprachschule nicht begeistert über die polizeiliche Aussage der Sprachlehrerin W. gewesen sei, da er einen Image-Schaden für die Sprachschule befürchtet habe. Insgesamt sei die Bedrohung der in der Gerresheimer Straße 54 unterrichteten Sprachschüler*innen damals zwar zu Papier gebracht, aber nicht richtig bewertet worden.

 

Nach der Entlassung des Zeugen Moll und einer Mittagspause ging es am 22. März 2018 erst einmal mit einer Erklärung des Angeklagten Ralf S. weiter. Darin befreite er Rechtsanwalt Rüdiger Spormann bezüglich der Benennung des Anfragenden bzw. Auftraggebers für seine anwaltliche Vertretung „von einer eventuellen anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht“.

 

Anmerkung der Wehrhahn-Prozess-Blog-Redaktion zu „Pierre“

 

Mit der von S. abgegebenen Erklärung kann das Gericht den Rechtsanwalt Rüdiger Spormann nun fragen, wer ihn seinerzeit, unmittelbar nach dem Anschlag, gebeten hatte, das Mandat für den Beschuldigten Ralf S. zu übernehmen. Damit könnte bekannt werden, wer die Person „Pierre“ ist. Dieser scheint nach der Tat als Unterstützer des unter Tatverdacht geratenen Ralf S. und dessen damaliger Freundin Doreen Sch. gewirkt zu haben und hatte eventuell Rechtsanwalt Rüdiger Spormann angefragt bzw. beauftragt. Am 3. August 2000 hatte er kurz nach deren polizeilichen Vernehmung bei Doreen Sch. angerufen. Hierbei hatten sich die beiden auch über Ralf S. unterhalten und erörtert, dass dieser als Täter schon deshalb nicht in Frage käme, weil Ralf S. was richtig Großes mit Sprengstoff machen würde (Pierre), wenn ihm danach sei. Dieser Meinung sei auch „der Sven“, so „Pierre“. Sch. hatte ergänzt, dass Ralf S. hierfür „zum Bahnhof“ gehen würde. Zudem merkte sie in dem Telefonat mit Bezug auf den beim Wehrhahn-Anschlag verwendeten Sprengstoff und auf Ralf S. an: „Wenn das TNT war, dann ist er weg.“

In einem darauf folgenden Telefonat zwischen Doreen Sch. und Ralf S. informierte Sch. ihren Partner über Pierres Anruf. Auf die Frage von S., ob Pierre der mit dem großen Hund sei, antwortete Sch.: „Der, der mit Patrick den Anwalt besorgt hat.“ Patrick E. hatte in seiner gerichtlichen Vernehmung angegeben, 1998/1999 einen Bekannten namens Pierre gehabt zu haben, der aber nichts mit seiner späteren Freundin L. zu tun gehabt hätte. L. gab vor Gericht an, zwei Pierres gekannt zu haben: einen damaligen Nachbarn und einen Pierre, der mit Patrick bekannt gewesen sei und einen Neufundländer gehabt habe. Auch in Aussagen von „EK Furche“-Mitgliedern war mehrfach von einem „Pierre“ die Rede. Dieser soll damals im selben Haus wie L. gewohnt und einen Neufundländer gehabt haben. Doreen Sch. habe ausgesagt, mal flüchtig einen „Pierre“ im Tattoo-Studio von L. kennengelernt zu haben, Näheres über ihn wisse sie aber nicht. Man (die „EK Furche) habe sich zwar nicht vorstellen können, dass Doreen S. nicht mehr wisse, wer „Pierre“ ist, möglicherweise sei ihr dieser aber tatsächlich nicht mehr erinnerlich. Eventuell wolle sie „Pierre“ aber auch „raushalten“.  

 

Ende der Anmerkung.

 

Der Zeuge Kurt N. (Kriminalbeamter, „EK Furche“)

 

Als nächster Zeuge war der Kriminalbeamte Kurt N. (62), wie der zuvor gehörte Zeuge Moll Mitglied der „EK Furche“, an der Reihe. Er berichtete, dass er bei der Mordkommission und nicht beim Staatsschutz gewesen sei, als er zur „EK Furche“ kam. Udo Moll habe ihn hinzu gebeten, da er Erfahrung mit umfangreichen Verfahren gehabt habe. Zu Beginn seiner Arbeit habe es auch noch einen „verdeckten Ermittler“ des LKA gegeben, der auf S. angesetzt gewesen sei. Der habe aber „überhaupt nichts zustande gebracht“.

 

N. berichtete, dass der Anlass für die am 29. Juli 2000 bei S. durchgeführte Durchsuchung nicht der Wehrhahn-Anschlag gewesen sei, sondern eine am Abend des 27. Juli 2000 telefonisch von einer Telefonzelle Schirmerstraße, Ecke Adlerstraße abgesetzte Bombendrohung. S. sei ungefähr zum Zeitpunkt des Anrufs an dieser Telefonzelle gesehen worden. Nach der Durchsuchung durch den Polizeilichen Staatsschutz, bei der nichts Relevantes gefunden worden sei, habe man ihn erstmals vernommen. Die Vernehmung sei dann von S. abgebrochen worden und dann am Montag, 31. Juli 2000, fortgesetzt worden. Bei der dritten Vernehmung am 2. August 2000 habe eine Anwältin S. zur Seite gestanden. Eine vierte Vernehmung sei dann 2001 wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Waffengesetz von der Staatsanwaltschaft durchgeführt worden.

Am 20. Oktober 2016 habe man S. dann aufgesucht, nachdem dieser von Patrick E. informiert worden war, dass gegen ihn wieder ermittelt werde. Es sei hierbei auch über die Person Herbert L. gesprochen worden. Man habe bis dato nicht recherchieren können, ob sich S. und L. zum Zeitpunkt des Sprengstoffanschlags schon gekannt hätten. L. sei einst Minenräumer in Jugoslawien gewesen und habe dann später versucht, u.a. das beiseite geschaffte TNT zu verkaufen.

Am 31. Januar 2017 habe man S. um 9.18 Uhr vor seiner Wohnung festgenommen und anschließend ED-behandelt und vorgeführt. Den 26-seitigen Haftbefehl habe man ihm vorgelesen. Die Vorwürfe habe S. kommentiert, diese Kommentare habe man aufgeschrieben. Angesprochen worden seien beispielsweise auch die Ankündigung der Tat der Zeugin L. gegenüber und seine Formulierung [„Was ich da gemacht habe...“] im Telefonat im August 2000 mit Nadin Freytag [„illegale Abtreibung“, „kein Mord, siehe Bericht zum 2. Prozesstag]. Nadin Freytag habe S. im Internet kennengelernt, so der Zeuge N.

Am 31. August 2000 habe S. frühmorgens mit Klaus Neubauer, einer „rechten Größe in Berlin“, der wegen schweren Raubs in der JVA Tegel eingesessen habe, telefoniert. S. habe sich um ihn im Rahmen seines Engagements für die HNG [die neonazistische „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“, 2011 verboten] gekümmert. Neubauer habe Tattoofarben benötigt, darüber sei dann der Kontakt entstanden. Am Telefon habe S. dem Neubauer berichtet, er habe zur Tatzeit „bei Sabine Kaffee getrunken“ und er werde verdächtigt, weil er eine Ausbildung als Personenschützer habe.

 

Im Sommer 2015 hätten sie (Moll und N.) die Zeugin L. aufgesucht, die zunächst nicht habe mit ihnen sprechen wollen. Es habe dann aber doch ein Vorgespräch in einem Café gegeben, in dem man grob erklärt habe, worum es ginge. Sie habe geäußert, dass sie S. für den Täter halten würde. L., so Kurt N., habe auch schon 2001 gesagt, dass ihr „was komisch“ vorkäme.

Bei den Vernehmungen von L. sei auch über die Bedrohung der Sprachschüler*innen im Herbst 1999 gesprochen worden. L. sei auf André M., Patrick E. und Axel V. angesprochen worden. Sie habe aber mit keinem Wort erwähnt, dass sie 1999 Patrick E. einmal ihren Hund geliehen hätte, um irgendwelchen Leute im Auftrag von S. Angst zu machen.

L. habe u.a. berichtet, dass Ralf S. Handgranaten vor der Polizei versteckt hätte, krass „ausländerfeindlich“ sei und am Nachmittag des Tattages ein rotes Käppi getragen habe. Man habe in der „EK Furche“ gewusst, dass der mögliche Täter, der zur Tatzeit auf einem Schaltkasten am S-Bahnhof mit Blick auf den Tatort gesehen worden sei, ebenfalls ein rotes Käppi getragen habe. Diese Person sei jedenfalls kein Schaulustiger gewesen, er habe sich direkt nach der Explosion in Richtung der Wohnung von S. entfernt. Bis dahin seien es 383 Meter, die im verfügbaren Zeitfenster zwischen Detonation und Telefonat [etwa vier Minuten] bequem zu bewältigen gewesen seien – im vollzogenen Test in 3 Minuten, 37 Sekunden, inklusive Aufschließen der Haus- und der Wohnungstür und der Zeit, um in die erste Etage zu kommen. Die Entfernung habe man mit einem geeigneten Gerät ausgemessen.

Bei einer zweiten Vernehmung im Juni 2016 habe L. dann berichtet, dass ihr klargeworden sei, dass mit den von S. damals erwähnten „Kanaken, die er in die Luft sprengen wollte“, keine Nachbarn im Haus, sondern Menschen in der Sprachschule gegenüber gemeint gewesen seien. Sie habe mehrfach von „Kanaken in die Luft sprengen“ gesprochen, so N., und sei sich absolut sicher gewesen, dass S. das so formuliert habe. Es sei ihr zuvor auch definitiv nichts vorgehalten oder in den Mund gelegt worden. Wieso sie davon nicht schon früher berichtet habe, wisse er nicht, so N. Das sei aber bei anderen Zeug*innen ähnlich gewesen. Es sei unklar, ob diese zunächst etwas zurückgehalten hätten oder ob es ihnen nach und nach wieder eingefallen sei.

 

Kurt N. berichtete auch noch einmal über die bereits von Udo Moll beschriebene Befragung und Recherche zur Anzeigenzeitung „Marktplatz“ und dass Doreen Sch. sich noch gut an dieses Blatt erinnert habe. S. habe laut Doreen Sch. diese Zeitung aber nicht am Kiosk auf der Ecke gekauft, da es dort nur die „Avis“ gegeben habe, die er sich dort auch immer besorgt hätte. N. gab an, dass der „Marktplatz“ damals in Düsseldorf „an zwei bis drei Stellen“, zum Beispiel bei „Galerie Kaufhof“, erhältlich gewesen sei.

 

Auf Frage der Staatsanwaltschaft bestätigte Kurt N,. dass S. offenbar in der Lage gewesen sei, eine Schweißnaht anzubringen. Laut Eigenangaben von S. habe er mal einen Auspuff geschweißt, der aber am nächsten Tag wieder abgefallen sei. Da der PKW aber zwischenzeitlich verschrottet worden sei, habe man das nicht überprüfen können.

 

Angesprochen auf die Reaktion von S. auf den Fund der technischen Informationen zu einem elektronischen Zünder in seiner Wohnung, erläuterte N., dass S. ihnen erklärt habe, dass sich ja jeder so eine Beschreibung aus dem Internet herunterladen könne. Er habe nicht gesagt, dass ihm wohl jemand dieses Papier habe unterschieben wollen und dass es vielen Personen möglich gewesen sei, in seiner Abwesenheit seine Wohnung zu betreten. [Eben dieses hatte S. vor Gericht behauptet.]

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