Der 17. Prozesstag
Der 17. Hauptverhandlungstag am 16. April 2018 stand im Zeichen der „Operativen Fallanalyse“ des Landeskriminalamts NRW (LKA). Zum Hintergrund: Die „Ermittlungskommission Furche“ („EK Furche“) hatte das LKA 2015 um Unterstützung gebeten und eine Fallanalyse angefordert, die noch im selben Jahr abgeschlossen wurde. Das gelieferte Gutachten bezeichnete Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück auf einer Pressekonferenz (PK) am 1. Februar 2017 anlässlich der Festnahme von Ralf S. als „exzellenten Bericht“, der „die Aufklärung des Falles [...] wesentlich erleichtert“ habe.
Der „EK Furche“-Leiter Udo Moll hatte auf der PK von diversen Merkmalen gesprochen, die von den LKA-Profilern dem oder den Wehrhahn-Täter*innen zuzuschreiben seien und die allesamt auf Ralf S. zuträfen:
- - eine „fremdenfeindliche Motivation mit tief verwurzelter Aggressivität“
- - hohes waffentechnisches Wissen“ und „handwerkliche Fähigkeiten“, u.a. Schweißen
- - Zugriffsmöglichkeiten auf Werkzeug und auf ein Schweißgerät
- - das Vorhandensein einer „geeigneten Räumlichkeit“, um die Bombe ungestört bauen zu können
- - Kenntnisse über die Routineabläufe“ der gezielt ausgewählten Opfergruppe
- - die Möglichkeit, Sprengmittel zu beschaffen
Die Fallanalyse des LKA spricht zudem davon, dass der oder die Täter*innen einen starken regionalen Bezug haben müsste(n), ansonsten wäre eine intensive Beobachtung der Opfergruppe zur Vorbereitung der Tat kaum möglich gewesen. Zudem geht sie davon aus, dass die Opfergruppe der Sprachschüler*innen gezielt ausgewählt wurde, dass der Sprengsatz durch eine Funkfernzündung auf Sichtkontakt gezündet wurde und dass die Menge des Sprengmittels TNT so gewählt war, dass möglichst viele Personen durch die Bombe zu Schaden kommen sollten. Ferner sei der Tatort gezielt ausgewählt worden, weil er für den Tatplan, möglichst viele Sprachschüler*innen zu töten, ohne „Unbeteiligte“ zu gefährden, besonders geeignet gewesen sei.
Am 17. Prozesstag erläuterte die an dem OFA-Gutachten beteiligte Kriminalbeamtin Maren D. den Prozessbeteiligten detailliert, wie die LKA-Arbeitsgruppe vorgegangen war, um zu ihren Aussagen über den/die Täter*innen, dessen/deren Ziel und den Tathergang zu kommen. Es hätten hierfür nur objektive und gesicherte subjektive Befunde (überprüfte/abgesicherte Zeug*innenaussagen) sowie Gutachten und Asservatenverzeichnisse vorgelegen, im Gegensatz zu Spurenakten und Informationen über mögliche Tatverdächtige. Man habe unter anderem Schritt für Schritt rekonstruiert, wer sich zum Tatzeitpunkt wo genau auf dem S-Bahnhof und im Kreuzungsbereich Ackerstraße/Gerresheimer Straße aufgehalten habe und wer am Tattag welche Beobachtungen gemacht habe. Auf Grundlage der vorliegenden Befunde habe man letztendlich Schlussfolgerungen gezogen.
Aus den Ausführungen der Kriminalbeamtin Maren D. ging zudem hervor, dass von den zwölf betroffenen Sprachschüler*innen vier einen Sprachkurs in der Gerresheimer Straße 54 (gegenüber dem Militarialaden von Ralf S.) und acht einen Sprachkurs in der Ackerstraße 90 besucht hatten. Vier Personen seien jüdischen Glaubens, eine der verletzten Frauen sei Muslima gewesen.
Der 18. Prozesstag
Am 18. Hauptverhandlungstag am 18. April 2018 wurde zunächst Sascha Sch., Cousin von Sven Sch. (siehe 7. Prozesstag) und Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre in der lokalen extremen Rechten beheimatet, befragt. Der Zeuge bekundete, er wisse zwar, dass sein Cousin für Ralf S. gearbeitet habe, er selber aber habe Ralf S. nur zweimal gesehen und könne nichts zur Aufklärung beitragen. Angesprochen wurde er auf einen Vorfall wenige Wochen nach dem Anschlag. Hierbei hätten er und seine damalige Freundin zufällig in Düsseldorf auf der Straße Christian N. getroffen (siehe 7. Prozesstag), der ihnen „aus Jux“ erzählt habe, dass er persönlich den Wehrhahn-Anschlag begangen habe. Da Christian N., („Mitläufer“, „eher nichts in der Birne“, genannt „der Dicke“ oder auch „der Doofe“) aber auch schon mal erzählt habe, dass Adolf Hitler bei ihm im Keller sitze, habe der Zeuge seinen Bekannten N. in dessen Bekundung, den Anschlag verübt zu haben, natürlich nicht ernst genommen.
Sascha Sch.‘ damalige Freundin Tanja B. – eine weitere Zeugin an diesem Tag – konnte sich nur noch grob an das damalige Zusammentreffen mit Christian N. erinnern und nichts Prozessrelevantes beitragen.
Die nächste Zeugin, Karina H. aus Hessen, bekundete, 2015 für wenige Monate mit Ralf S. liiert gewesen zu sein. Sie habe ihn über eine Single-Gruppe auf der Social-Media-Plattform Facebook kennengelernt. Ralf S. habe ihr zwar über den Anschlag berichtet, aber bekundet, dass er damit nichts zu tun gehabt hätte und deshalb auch nicht belangt worden sei. Aus Mitschnitten von Telefonaten aus der Telefonüberwachung, die nun im Gerichtssaal abgespielt wurden, ging hervor, dass sich der Angeklagte im Telefongespräch mit der Zeugin H. antisemitisch und rassistisch gegen die damaligen Opfern geäußert hatte.
Auf Nachfrage der Nebenklage gab die Zeugin schließlich an, einmal mit Ralf S. über die Reparatur ihres Autos gesprochen zu haben. Es hätten Schweißarbeiten durchgeführt werden müssen. S. habe bekundet, sich hierum kümmern zu können. Dazu sei es aber letztendlich nicht gekommen. Sie wisse nicht, ob er den Schaden an ihrem Wagen damals habe reparieren oder von einem Bekannten habe machen lassen wollen.
Als letzte Zeugin wurde an diesem Tag Laura K. (Name geändert) befragt. Die heute 31-Jährige gab an, im Zeitraum von 1999 bis etwa 2005 mit dem Angeklagten liiert gewesen zu sein. Auf Nachfrage, ob der Beginn ihrer Beziehung tatsächlich im Jahr 1999 gelegen habe, korrigierte die Zeugin, dass ihre Liebesbeziehung wohl erst im Jahr 2000, nach dem Anschlag, begonnen habe – sie sei damals 13 Jahre alt gewesen. Kennengelernt habe sie S. als Gast und „langjährigen Freund“ ihrer Eltern, besonders ihres Vaters. S. sei regelmäßig bei der Familie in Ratingen gewesen. Über einen unbestimmten Zeitraum hinweg hätten ihr Vater und S. aus ihr unbekannten Gründen zwar keinen Kontakt gehabt, kurz vor Beginn ihrer Beziehung sei S. aber wieder in ihrem Elternhaus aufgetaucht. Der Kontakt sei wieder regelmäßiger gewesen. Davon, dass sie und der Angeklagte eine Beziehung eingegangen seien, hätten ihre Eltern ihrer Vermutung nach gewusst, über Konkretes seien sie aber nicht informiert gewesen. Denn über das intime Verhältnis ihrer minderjährigen Tochter mit dem deutlich Älteren wären sie sicher nicht glücklich gewesen – so habe sich die Zeugin ihren Eltern gegenüber nicht offenbart.
Während der Zeit ihrer Beziehung hätten sie sich täglich gesehen. Zu Beginn sei S. zugleich noch mit seiner damaligen Freundin Doreen Sch. (siehe 9. Prozesstag) liiert gewesen. Getroffen hätten sie sich in dieser Zeit auch schon mal tagsüber in der Wohnung von Doreen Sch. (wenn diese auf der Arbeit gewesen sei), in einem der Baucontainer, zu denen S. während seiner Tätigkeit als Wachmann Zugang gehabt habe, oder in „seinem Büro“. Dieses Büro sei „irgendwo in Rath oder Unterrath“ gewesen, erinnerte sich die Zeugin. Sie seien aber auch viel mit dem Auto umhergefahren oder wären mit S‘ Hund „Spike“ unterwegs gewesen. Seinen Freundeskreis habe sie nicht gekannt, einige Familienmitglieder – S.‘ Mutter und seine Schwester – habe sie hingegen kennengelernt. S. habe sie als seine Freundin vorgestellt.
Über den Anschlag habe sie mit S. nicht gesprochen. Sie habe „oberflächlich“ über ihren Vater mitbekommen, dass S. diesem wohl erzählt hatte, Hauptverdächtiger gewesen zu sein und der Verdacht dann aber fallengelassen worden sei. Dass die Verdächtigung, Ralf S. habe etwas mit dem Anschlag vom S-Bahnhof „Wehrhahn“ zu tun, während ihrer Beziehung Thema gewesen sei – oder sie davon mitbekommen habe –, wusste die Zeugin nicht zu erinnern. Von Ermittlungen gegen S. (Befragungen o.ä.) habe sie jedenfalls nichts mitbekommen. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters zur politischen Haltung des Angeklagten erklärte die Zeugin, Ralf S. habe schon das eine oder andere Mal „extrem geschimpft“ über „Ausländer“ und darüber, dass diese ihm „den Arbeitsplatz wegnehmen“ würden. Nach ihrer Wahrnehmung zum Charakter und Verhalten des Angeklagten zur Zeit ihrer Beziehung gefragt, schilderte sie, dass S. „sehr nett“ habe sein können. Allerdings sei das mitunter auch „sehr schnell umgeschlagen“. Dann sei S. „sehr aggressiv“ gewesen. Sie selbst habe keine Gewalt von ihm erfahren, wohl aber sei S. mit Tieren nicht immer gut umgegangen. Die Zeugin berichtete, dass S. seinen Hund regelrecht geprügelt und in die Mangel genommen habe, wenn dieser mal nicht spurte, wie S. das wollte. In diesem Zusammenhang bat Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück Laura K., noch einmal konkreter zu S.‘ Verhalten ihr gegenüber Auskunft zu geben, wie sie es auch bereits bei einer Vernehmung 2017 getan hatte. K. schilderte daraufhin, dass sie durch S. einer enormen Belastung ausgesetzt gewesen sei. Er habe sie „runtergemacht“, habe ihr in seinem „Überwachungswahn“ nachgestellt, etwa wenn er vor dem Schulgelände, von dem sie kam, gewartet habe. Er habe sie kontrolliert, ihr misstraut und ihr den Kontakt zu anderen Männern vorgeworfen. Vor Gericht nannte die Zeugin diese „Psychoterror-Anschläge“ auf sie als Grund dafür, dass sie ihr Kind, mit dem sie von Ralf S. schwanger gewesen sei, verloren habe – was sie bis an die Grenzen der Belastbarkeit gebracht habe. Die Beziehung sei dann auch „auseinandergebrochen“.
Hierzu befragte die Verteidigung die Zeugin weiter, wollte von ihr wissen, wie sie und S. mit dem toten Fötus umgegangen seien. Im Krankenhaus, berichtete K., habe sie das Ungeborene nicht lassen wollen. Also hätten sie die Möglichkeit gewählt, den Fötus an sich zu nehmen. Ralf S. habe ihn mit nach hause genommen. Später hätten sie ihn auf dem Friedhof in Ratingen bestatten können. Die Verteidigung ergänzte die Aussage der Zeugin hier mit dem Hinweis auf die Einlassungen des Angeklagten zu Prozessbeginn, nach denen S. sich für die Einrichtung von Grabstätten für „Sternenkinder“, also totgeborenen oder nicht geborenen Kindern, eingesetzt habe und die Bestattung des Kindes so habe erst ermöglichen können.
Auf die Frage, ob sie den Angeklagten einmal dabei gesehen habe, wie er ein Auto bzw. Autos repariert habe, berichtete Laura K., dass sie mehrfach dabei gewesen sei, als S. mit Reparatur-Arbeiten an PKWs beschäftigt gewesen sei. Er habe vornüber im Fußraum der Fahrer- bzw. Beifahrerseite am Boden des Wagens gearbeitet, auch mal unter dem Fahrzeug. Dort habe er „Metallsachen angeschweißt“, das habe sie beobachtet. Hierzu wollte die Verteidigung schließlich noch wissen, ob die Zeugin Kenntnis davon habe, ob die Reparaturarbeiten, die Ralf S. gemacht habe, „gehalten“ hätten. Ebenso fragte einer der beiden Verteidiger danach, ob die Zeugin wisse, wie ein Schweißgerät aussähe. Diese verneinte beides bzw. schloss damit, dass sie keine Angaben dazu machen könne, ob die Reparatur „erfolgreich“ gewesen sei.
Der 19. Prozesstag
Am 19. Hauptverhandlungstag am 19. April 2018 sollte eigentlich ein pensionierter Polizeibeamter zu einem verfahrensrelevanten Sachverhalt aussagen. Ralf S. hatte 1999 der Düsseldorfer Polizei und dem Verfassungsschutz zur Kenntnis gegeben, dass ihm bekannt geworden sei, dass „Jugoslawen“ (nach dem Anschlag sprach er dann öfter auch von „Russen“) im Bereich des Bahnhofs scharfe Handgranaten zum Kauf anbieten würden. Damit habe er, so Ralf S. im Laufe des Verfahrens, einen wichtigen Tipp gegeben, der eventuell den Anschlag hätte verhindern können, wenn er ernst genommen worden wäre. Die Anklage vermutet ein von S. lange vor dem Anschlag geplantes Manöver, um den Tatverdacht auf andere zu lenken.
Der Polizeibeamte, der damals diesen Fall bearbeitet hatte, erschien zwar trotz Krankheit und hohen Alters, konnte das Geschehene aber nur noch aufgrund ihm vorliegender Unterlagen nachvollziehen, nicht mehr auf Grundlage eigener Erinnerung. Mit Zustimmung aller Prozessbeteiligten wurde die Befragung abgebrochen und der Zeuge, der von seiner Ehefrau begleitet wurde, mit Dank entlassen.
Auch bei dem nächsten Zeugen handelte es sich um einen Polizeibeamten im Ruhestand. Zudem hatte er einst auf dem Gelände eines Schießsportzentrums Lehrgänge angeboten, beispielsweise für angehende Personenschützer*innen. Einen solchen zweiwöchigen Kurs habe Ralf S. im März 2000 absolviert, finanziert über das Arbeitsamt, so der Zeuge. Mit Sprengstoff oder Sprengfallen sei hierbei nicht hantiert worden. Ralf S. habe sich anschließend über Inserate sofort selbst als Ausbilder angeboten, was auf ein „übersteigertes Selbstwertgefühl“ schließen lasse. Schließlich würden sich Fahrschüler ohne Fahrpraxis nach bestandener Fahrprüfung auch nicht direkt als Fahrlehrer anbieten. Zudem habe sich S. direkt nach dem Lehrgang zu Ausbildungszwecken den Schießstand gemietet.
Auch ein weiterer Zeuge an diesem Tag sagte nur kurz aus. Er kenne Ralf S. überhaupt nicht, bekundete er. Vorgehalten wurde ihm, dass er nach dem Anschlag ausgesagt habe, am Tattag gegen 16 Uhr zusammen mit einem Freund, der ungenannt bleiben wolle, auf der Straße Am Wehrhahn unterwegs gewesen zu sein und Ralf S., der aus Richtung Worringer Straße gekommen sei, gesehen zu haben. Vor Gericht konnte oder wollte sich der Zeuge weder an diese Begegnung und an die diesbezügliche Aussage, noch an seinen damaligen Begleiter erinnern. Wegen seiner Weigerung, bei seiner gerichtlichen Aussage seine Mütze abzunehmen, wurde ihm vom Vorsitzenden ein Ordnungsgeld auferlegt.
Einzig spannender Zeuge an diesem Tag war Ole T. (Name geändert). Dieser arbeitete von 1998 bis zum Spätsommer 2000 in der Nachbarschaft des Militaria-Ladens und kannte Ralf S. als Inhaber dieses Ladens, in dem er auch wenige Male selber als Kunde war. Einmal habe er sich dort einen Rucksack gekauft, so T., der diesen Rucksack auch ins Gericht mitgebracht hatte. Er habe sich damals fünf oder sechs Mal mit Ralf S. unterhalten, sei aber zunehmend auf Abstand zu ihm gegangen. Ralf S.‘ klischeehaften Kommentare „über Junkies, Schwule und Asoziale“ hätten für sich gesprochen. Er habe einige Male „Bilderbuchglatzen“ vor dem Militarialaden stehen sehen, so T. Ralf S. sei zudem im Viertel oft mit seinem Hund Patrouille gelaufen. Nicht selten habe S. von einer Telefonzelle auf der Worringer Straße aus telefoniert. Außerdem habe er (T.) Neonazi-Aufkleber wahrgenommen sowie in einem „politisch links gerichteten Magazin“ gelesen, dass der Militaria-Laden und sein Betreiber in extrem rechte Strukturen eingebunden seien. Von den Sprachschüler*innen auf der Gerresheimer Straße 54 habe er nicht wirklich etwas mitbekommen, er habe aber gewusst, dass dort auf der ersten Etage Seminar/Veranstaltungsräume seien.
Am Tattag habe er (nachdem er von einem Arbeitskollegen darauf aufmerksam gemacht worden sei) beobachtet, dass Ralf S. um die Mittagszeit – auf jeden Fall vor der Explosion – nervös auf der Worringer Straße auf und ab gelaufen sei, ständig telefonierend und in Richtung Schienen guckend. Er habe Ralf S. zuerst gar nicht erkannt, da dieser anders als gewohnt gekleidet gewesen sei (weiße/helle Kleidung) und auch seinen Hund nicht dabei gehabt habe. Er habe S. in kurzen Abständen immer mal wieder im Kreuzungsbereich Worringer Straße/Gerresheimer Straße gesehen. S. sei dann immer wieder aus seinem Blickfeld – auf der Worringer Straße gehend – Richtung Norden verschwunden. Irgendwann sei er dann ganz weg gewesen. Etwa eine Stunde nach der Explosion, die er zuerst als Überschallknall eines Flugzeugs interpretiert habe, so. T., hätte S. dann im Kreuzungsbereich Worringer Straße/Gerresheimer Straße unter den Schaulustigen gestanden und auf seine Frage, was passiert sei, mit „Bombe“ geantwortet. Das hätten aber andere ebenso formuliert. Kurz nach dem Tattag habe er sich die Worringer Straße in diesem Abschnitt etwas näher angesehen und festgestellt, dass man von einer bestimmten Stelle aus den Tatort habe sehen können. Man bräuchte also nur noch beim Auftauchen der Opfer auf den Knopf drücken. Er habe geschlussfolgert, dass S. etwas mit dem Anschlag zu tun haben könnte und dies auch am 29. Juli 2000 einem Bekannten in den USA via E-Mail mitgeteilt. Der Zeuge übergab diese E-Mail in ausgedruckter Form dem Vorsitzenden Richter, ebenso wie Angaben zu seinem damaligen Arbeitskollegen, mit dem er nach Erhalt der Zeugenvorladung vor Kurzem noch kommuniziert hatte, um unter anderem zu erfahren, ob dieser auch vorgeladen sei, was nicht der Fall war.
T. betonte vor Gericht mehrfach, dass er immer schon Probleme mit seinem Erinnerungsvermögen gehabt habe und sich genau deswegen auch immer vieles notieren bzw. vieles archivieren würde, um bei Bedarf darauf zurückgreifen zu können.
Er habe nach dem Anschlag vorgehabt, so T., sich via E-Mail an die Polizei zu wenden, er habe aber zunächst trotz mehrerer Anläufe keine E-Mail-Adresse recherchieren können. Als er dann endlich eine gehabt hätte, habe diese nicht funktioniert. Die Polizei sei auf diesem Weg schier unerreichbar gewesen und habe nicht einmal eine vernünftige Internetpräsenz gehabt. Das habe ihn sehr erbost. Er habe sich deshalb via E-Mail anonym an die Presse gewandt, konkret an den Düsseldorfer „Express“, und berichtet, was er wahrgenommen und geschlussfolgert habe. Er habe auch sofort Antwort vom Journalisten Günther Classen erhalten, die Presse sei offenkundig interessierter, kommunikativer und deutlich schneller als die Polizei. Aus Sicherheitsgründen habe er sich aber nicht zu erkennen geben wollen. Der „Express“ habe einen ganzseitigen Artikel veröffentlicht. Wochen nach dem Anschlag (laut Vorhalt am 23. August 2000) sei dann ein Polizeibeamter bei ihm erschienen, der den Nahbereich des S-Bahnhofs nach Hinweisen abgeklappert habe. Im Gespräch mit ihm habe der Beamte sich aber nicht einmal Notizen gemacht, erinnerte sich T. Er habe dem Polizeibeamten alles erzählt, was er gesehen und gewusst habe, er habe ja schließlich seine Informationen loswerden wollen. Heute sähe er keinen Grund dafür, wieso er damals bei diesem Gespräch mit dem Polizisten etwas weggelassen haben sollte. Nicht lange danach habe er seinen Arbeitsvertrag gekündigt, da er sich als Homosexueller in diesem Gebiet nicht mehr sicher gefühlt habe. Ralf S. habe damals auch schon mal homophobe Sprüche von sich gegeben.
Daran, dass er damals auch mehrfach mit Günther Classen telefoniert hatte – Auszüge aus diesen von Classen mitgeschnittenen Telefonaten wurden vorgehalten –, konnte sich der Zeuge nicht mehr erinnern. In dem Telefonat drückte der Anrufer (T.: „Das bin eindeutig ich.“) sein Entsetzen darüber aus, dass Neonazis mit Samthandschuhen angefasst würden und dass er nicht daran glaube, dass er geschützt werden könne, wenn er bei der Polizei seine Personalien zur Kenntnis gäbe. Auch nicht erinnern konnte sich T. vor Gericht, dass sich später auch die von Classen unterrichtete Polizei unter seiner anonymen E-Mail-Adressen gemeldet und er – zurückhaltend – geantwortet hatte. Versuche von Classen, dem um seine Sicherheit Besorgten Wege für eine Zusammenarbeit mit der Polizei aufzuzeigen, blieben letztendlich erfolglos. Bis zum 19. April 2018 blieb die Identität des anonymen Zeugen unbekannt, seine wichtigen Beobachtungen (siehe hierzu auch die Aussage der Zeugin Kerstin S. vom 15. Prozesstag am 4. April 2018) flossen nun aber in die Beweisaufnahme ein.