2. Prozesstag im Wehrhahn-Prozess – Landgericht Düsseldorf, 30. Januar 2018

Auch während des zweiten Prozesstages im Wehrhahn-Prozess blieb der Angeklagte Ralf S. bei seiner Aussage, nichts mit dem Anschlag am 27. Juli 2000 zu tun gehabt zu haben. Er habe auch keine Kenntnisse darüber, wer die Tat verübt haben könnte. Über den größten Teil des Verhandlungstages beschäftigte sich das Gericht aber mit der Inaugenscheinnahme von abgehörten Telefonaten, die meisten aus den Wochen nach der Tat. Aus den Telefonaten spielte das Gericht Auszüge ein und befragte dazu den Angeklagten.

Zunächst ging es zu Beginn des Verhandlungstages aber noch einmal um die Frage der von S. angemieteten und/oder genutzten Wohnungen in Flingern. Nachdem er – so S. – 1999 seine spätere Freundin D. kennengelernt hätte, wären beide von Pempelfort nach Flingern gezogen. Privat hätten er und seine Freundin in einer Wohnung auf der Schützenstraße gelebt. Später habe er sich eine eigene Wohnung auf der Gerresheimer Straße 13 besorgt, die er aber nur als Büro und Lagerfläche genutzt habe. Er habe mehr Platz gebraucht. Zudem sei für seinen Hund die Wohnung in der Schützenstraße ungeeignet gewesen. Übernachtet habe er jedoch immer in der Schützenstraße. Er sei zudem Mieter einer Wohnung auf der Gerresheimer Straße 37 gewesen. Diese habe er teilweise ebenfalls als Lager benutzt, zugleich sei sie aber „als WG“ an Studierende vermietet gewesen. Nähere Angaben wurden zu dieser Wohnung nicht gemacht.

 

Bei dem anschließenden Abspielen der Auszüge aus abgehörten Telefonaten kam zum einen heraus, dass S. in diversen Telefongesprächen über seine Qualifikation im Umgang mit Sprengstoff berichtet hatte. In polizeilichen Vernehmungen und vor Gericht hatte er stets betont, nicht im Umgang mit Sprengstoff ausgebildet worden zu sein. In einem der Telefonate sprach er davon, er stünde im Visier der Ermittlungsbehörden, weil er der einzige Rechte im Stadtteil sei, der die nötige Ausbildung habe, um Sprengsätze bauen zu können. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters begründete er diesen Widerspruch damit, dass er sich habe wichtigmachen wollen.

 

Zum zweiten wurde deutlich, wie gut vernetzt S. war – im privaten Umfeld, in der Sicherheitsbranche und auch in der Neonazi-Szene. In diversen Telefonaten bemühte er sich um Schadensbegrenzung und drängte seine Gesprächspartnerinnen und -partner am Telefon massiv darauf, keine ihn belastenden Aussagen oder noch besser überhaupt keine Angaben zu machen. Mehrere sehr vertraulich klingende Telefonate führte er mit dem damaligen Düsseldorfer „Kameradschaftsführer“ Sven Skoda, der ihm unter anderem freundschaftlich riet, sich einen Rechtsanwalt zu nehmen. Er empfahl einen in der extremen Rechten aktiven Kölner Rechtsanwalt. Der würde nur Nazis verteidigen, wahrscheinlich wäre bei ihm auch eine Ratenzahlung möglich. Den Einwand von S., er sei aber gar kein Nazi, erwiderte Skoda mit einem lapidaren „Ich weiß“.

 

Zum dritten wurde überdeutlich, dass S. auch ideologisch der Neonazi-Szene sehr nahestand. Vor Gericht sprach er zwar davon, vor seinem 1999 erfolgten Umzug in den Düsseldorfer Stadtteil Flingern nichts mit der Neonazi-Szene zu tun gehabt zu haben. Er habe auch nur ein Jahr „damit“ zu tun gehabt. Seine bis hin zu Vernichtungsfantasien reichenden antisemitischen und rassistischen Tiraden in den Telefonaten sprechen jedoch eine deutliche Sprache.

 

Zum vierten kristallisierte sich auch während des zweiten Prozesstags heraus, dass der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz 1999 und 2000 bemüht war, in der lokalen Neonazi-Szene sein V-Personen-Netz weiter auszubauen. Hauptziel war Sven Skoda, auch heute noch einer der umtriebigsten Neonazis in Deutschland. Einen Versuch des VS, Ralf S. auf Skoda anzusetzen, will dieser abgelehnt haben. Skoda habe ihm ja schließlich „nichts getan“. S. war Monate vor dem Anschlag beim VS aufgetaucht, um sich darüber zu beschweren, dass sein Hinweis an die Polizei, dass „Yugos“ oder „Russen“ am Hauptbahnhof mit Handgranaten dealen würden, nicht nachgegangen worden sei. Dort, beim VS NRW, sei er bereits bekannt gewesen. Vor Gericht deutete S. zudem an, dass Skodas damalige Lebensgefährtin Vanessa L. in Kontakt mit einer der Behörden stand. Mehrmals war an den ersten beiden Prozesstagen auch von einer weiteren Person die Rede, für die sich das Gericht sehr interessiert und die offenbar bis heute nicht identifiziert ist. Mehrfach taucht in abgehörten Telefonaten von S.' Freundin D. ein „Pierre“ auf, der sich deutlich neonazistisch äußerte und hilfsbereit bei der Unterstützung von S. zeigte, beispielsweise beim Besorgen von Rechtsanwälten. S. selbst bekundete vor Gericht, „Pierre“ nicht zu kennen. Der Vorsitzende Richter scheint zurecht große Zweifel an dieser Behauptung zu haben.

 

Zwei weitere Telefonate seien abschließend noch erwähnt. In dem einem aus August 2000 sprach S. mit einer ostdeutschen Bekannten über die Tatsache, dass beim Wehrhahn-Anschlag eine schwangere Frau ihr Ungeborenes verlor. Das sei ja kein Mord gewesen, sondern eher so etwas wie eine illegale Abtreibung, so S. Vor Gericht erklärte er, dass er lediglich wiedergegeben hätte, was ihm Anwälte und Vernehmungsbeamte erklärt hätten. Von Seiten der Polizei sei er beispielsweise aufgefordert worden, die Anschlagsverübung zu gestehen, schließlich habe er niemanden ermordet, bekäme also auch keine lebenslange Freiheitsstrafe. Er selbst würde das anders sehen: „Leben ist Leben“.

 

In dem zweiten Telefonat vom 16. Dezember 2016 – sechs Wochen vor seiner Festnahme – erzählte S. einer Freundin aus Bochum, er habe in seinem Leben „vier Mal Glück gehabt“, drei Mal mit Bezug auf seine drei Kinder, einmal in Sachen Wehrhahn. Das Wort „Glück“ sei sarkastisch gemeint gewesen, erläuterte S. am 30. Januar 2018 dem Gericht. Es sei das Gegenteil gemeint gewesen. Seine Ex-Frau hätte ihm vor dem Familiengericht die gemeinsamen drei Kinder entzogen, und der unberechtigte Vorwurf, er habe den Wehrhahn-Anschlag verübt, werde ihn wohl sein Leben lang verfolgen.

 

Der Prozess wird am 2. Februar 2018 um 9.30 Uhr fortgesetzt. Im Anschluss an die Befragung des Angeklagten durch den Vorsitzenden Richter Drees wird die Staatsanwaltschaft ihre Fragen an Ralf S. richten. Danach folgen Fragen der Nebenklagevertreterin und der Nebenklagevertreter. Weitere Prozesstermine im Februar sind der 5., 8., 16., 19., 22. und 27.

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