25., 26., 27. und 28. Prozesstag im Wehrhahn-Prozess – Landgericht Düsseldorf, 5., 8., 11. und 14. Juni 2018

Seit dem Beschluss der Strafkammer vom 17. Mai 2018 befindet sich der Angeklagte Ralf S. nach über 15-monatiger U-Haft wieder in Freiheit. Das Gericht kann aktuell keinen dringenden Tatverdacht gegen ihn erkennen. Der Strafprozess aber geht weiter. Am 5. Juni 2018, dem 25. Tag der Hauptverhandlung, wurde erneut Frank B., ehemaliger Vorgesetzter von S. bei der Bundeswehr, befragt. B. hatte ein erstes Mal bereits am sechsten Prozesstag ausgesagt. Am 26. Prozesstag wurden drei Opfer des Wehrhahn-Anschlags befragt. Zudem ging es am selben Tag in der anschließenden Befragung des Justizvollzugsbeamten Mustafa A. und des Gefängniskrankenhauspsychologen Jan P. um die bevorstehende gerichtliche Vernehmung des inhaftierten Holger P. Mit ihm hatte Ralf S. einen Teil seiner bis zum 17. Mai 2018 anhaltenden U-Haft-Zeit verbracht und soll diesem von seiner Täterschaft und von Anschlagsplänen berichtet haben. Letztendlich wurde P. aber erst am 28. Prozesstag befragt. Jetzt aber verweigerte er die Aussage. Unmittelbar vor ihm hatte außerdem ein weiterer Mithäftling von ihm und Ralf S. vor Gericht ausgesagt. Am 27. Prozesstag wurde zudem die ehemalige Ehefrau von Ralf S., Kathrin D., als Zeugin befragt.

Der 25. Prozesstag am 5. Juni 2018

 

Beim 25. Hauptverhandlungstag musste sich der im Ruhestand befindliche Bundeswehroffizier und ehemalige Einzelkämpferausbilder Frank B. (53) noch einmal den Fragen des Gerichts stellen. Anlass war unter anderem, dass Ralf S. in einem von den polizeilichen Ermittlern abgehörten Telefonat behauptet hatte, Frank B. habe ihn nach dessen polizeilicher Vernehmung angerufen und über die Inhalte der Vernehmung informiert. B. habe demnach ausgesagt, er (S.) habe bei der Bundeswehr „hunderte“ Handgranaten geworfen. Frank B. verneinte am 5. Juni 2018 vehement, nach seinem letzten Berührungspunkt mit dem heute Angeklagten Anfang der 1990er Jahre je wieder Kontakt zu S. gehabt oder gesucht zu haben. Nach seiner ersten gerichtlichen Vernehmung im Wehrhahn-Prozess am 16. Februar 2018 habe er allerdings einen persönlichen Brief von S. erhalten. Möglicherweise habe er nach dem Wehrhahn-Anschlag noch einmal Telefonkontakt zu Andreas B. (ebenfalls Zeuge beim sechsten Prozesstag und Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre stellvertretender Zugführer bei der Bundeswehr) gehabt. Ralf S. gab auf Frage des Vorsitzenden und einer im militärischen Befehlston an ihn gerichteten Ansprache von B. an, dass er die im Telefonat erwähnten Angaben mutmaßlich tatsächlich nicht von B. bekomme habe. Diese müssten aus einer anderen Quelle stammen, möglicherweise aus Vorhalten bei seinen polizeilichen Vernehmungen.

B. betonte auf Nachfrage noch einmal, dass ihm keinerlei Verstöße von Ralf S. gegen Regelwerke der Bundeswehr bekannt geworden seien, dass S. keinen Zugang zu Sprengmitteln und Munition gehabt habe und dass S. bei der Einzelkämpferausbildung nur logistische Hilfsdienste verrichtet habe, nicht aber Teil der Ausbildung gewesen sei – weder als Ausbilder noch als Auszubildender. Es könnte aber sein, dass S. mal „zugeschaut“ habe bei den Übungen. Über Handgranatenwürfe von S. während dessen Bundeswehrzeit habe er keine Kenntnisse, so etwas würde aber detailliert in der „Schießkladde“ protokolliert und könne dort nachvollzogen werden.

 

Der 26. Prozesstag am 8. Juni 2018

 

Nachdem ihnen zuvor und außerhalb des Gerichtssaales Lichtbildmappen vorgelegt worden waren, befragte das Gericht am 26. Hauptverhandlungstag unter anderem drei Opfer des Anschlags, die am 27. Juli 2000 verletzt worden waren, einer von ihnen – der 68-jährige Zeuge V. – lebensgefährlich. V. machte auf Bitte des Vorsitzenden Angaben zu seinen Verletzungen, an deren Folgen er seit vielen Jahre zu leiden hat. Aufgrund eingedrungener Bombensplitter musste er unter anderem mehrfach am Darm operiert werden. Hinweise auf eine mögliche Täterschaft konnte V. nicht geben. Vorfälle im räumlichen Umfeld des Seminarraums der Sprachschule auf der Gerresheimer Straße – beispielsweise Bedrohungen – sowie „Auffälliges“ am Tattag waren ihm nicht erinnerlich. [Anmerkung: Die Sprachschüler*innen auf der Gerresheimer Straße zum Zeitpunkt des Anschlags waren nicht identisch mit denjenigen, die im Herbst 1999 von zwei Neonazis bedroht bzw. belästigt worden waren.]

Auch der 70-jährigen Zeugin A. war nichts erinnerlich (auch nicht der Militaria-Laden gegenüber der Sprachschule), was Rückschlüsse auf eine mögliche Täterschaft zulassen könnte. Auch sie sei verletzt worden und aufgrund der Wucht der Explosion beinahe über das Geländer der Fußgängerbrücke gestürzt. Sie habe sich aber nicht ins Krankenhaus bringen lassen, sich vielmehr erst in den Folgetagen in ärztliche Behandlung begeben: „Es war alles geschwollen am Knie. Es gab Splitter, die hat der Hausarzt später rausgezogen. Mein Rock hatte viele Löcher gehabt. Wir gingen vorne, das war unser Glück. Die hinter uns waren viel schwerer verletzt.“ Sie habe sich dann am Knie operieren lassen müssen. 2006 sei aufgrund von Schmerzen im Wirbelsäulenbereich eine weitere OP fällig gewesen, wobei unklar sei, ob es einen Zusammenhang zu den Verletzungen vom 27. Juli 2000 geben würde.

Als nächste Zeugin war die 42-jährige Schwiegertochter von Frau A., Naila A., an der Reihe. Sie gab an, noch Erinnerungen an den Tattag zu haben. Aufgefallen sei ihr am 27. Juli 2000 aber nichts. Die Bombe sei hinter ihr detoniert. Ein großer Splitter und mehrere kleine hätten sie an ihren Beinen verletzt. Die Splitter seien operativ entfernt worden, es sei nur Gewebe verletzt worden. Dennoch habe sie Probleme beim Gehen gehabt. Ab und zu habe sie auch heute noch „Probleme mit dem linken Bein“. Sie sei in Behandlung wegen einer Sehnenverkürzung, die durch die Verletzungen entstanden sei. Den Angeklagten habe sie häufig in räumlicher Nähe der Sprachschule wahrgenommen. Dieser habe „einen Laden vor dem Schulgebäude“ gehabt. „Ich habe ihn oft gesehen mit Camouflage-Uniform und dunklem Hund [...], eben als Soldat gekleidet.“ Hin und wieder in Begleitung von „ein bis zwei Personen“, die sie aber nicht mehr näher beschreiben könne. Sie habe damals nicht gewusst, dass es sich um Ralf S. handeln würde, das habe sie erst später aus den Medien erfahren. Vorfälle wie beispielsweise Bedrohungen von Sprachschüler*innen seien ihr nicht bekannt. Bei dem Militaria-Laden sei ihr klar gewesen, „worum es ging“. Das habe man sehen können, beispielsweise an den „Symbolen“.

 

Als nächster Zeuge wurde der 41-jährige Justizvollzugsbeamte Mustafa A., dienstansässig im JVA-Krankenhaus in Fröndenberg (Kreis Unna), befragt. A. gab an, dass er dort „im Haushaltsbereich in der Beschaffung“ sowie im Bereich Sicherheit und Ordnung tätig sei. Von seinem Kollegen Jan P. sei ihm am 25. Mai 2018 zugetragen worden, dass der Häftling Holger P. um ein Gespräch mit ihm gebeten habe. Er habe Holger P. , der seit etwa einem Monat in Fröndenberg gewesen sei, dann aufgesucht. Dieser habe berichtet, dass er davon erfahren habe, dass Ralf S., mit dem er als Häftling einige Freistunden in der JVA Düsseldorf verbracht habe, aus der U-Haft entlassen worden sei. Ralf S. habe ihm erzählt – offenbar in der fehlerhaften Annahme, dass er (Holger P.) ein Neonazi sei –, dass er (S.) den Wehrhahn-Bombenanschlag begangen habe, offenbar „aus Judenhass bzw. Ausländerhass“. Und dass S. ihm berichtet habe, er wolle dem Staatsanwalt etwas antun. Darüber habe sich Holger P. eigenen Angaben zufolge zur Absicherung handschriftliche Notizen gemacht, für den Fall, dass er von S. bedroht werde. Diese habe er eigenen Angaben zufolge als Verteidigerpost deklariert in seiner Zelle in der JVA Krefeld aufbewahrt. S. habe nämlich dann laut Holger P. bemerkt, dass sein Gesprächspartner trotz seiner einschlägigen Tätowierungen doch kein Neonazi sei, man habe sich daraufhin „nicht so schön voneinander getrennt“. S. habe „so Andeutungen“ gemacht wie „Sieh‘ dich vor!“ Außerdem habe er „ihn bei anderen Gefangenen schlecht gemacht“. Holger P. habe bekundet, so A., dass er sich unwohl fühle, er habe aber keinen Schutz gefordert – und auch sonst nichts. Holger P. habe erzählt, dass er das eigentlich alles für sich habe behalten wollen, schließlich sei er kein Verräter oder Spitzel. Aufgrund der Haftentlassung von S. habe sich ihm die Situation dann aber doch anders dargestellt. Zuvor sei er davon ausgegangen, dass S. verurteilt würde. Hinzu sei gekommen, dass S. möglicherweise einen Anschlag auf den Staatsanwalt plane. Deshalb wolle er das melden, habe aber kein Interesse daran, mit der Polizei zusammenzuarbeiten und in die Sache hinein gezogen zu werden, beispielsweise durch Bekanntwerden seines Namens. Holger P. sei zunächst wohl nicht klar gewesen, so A., dass er zwangsläufig vor Gericht erscheinen und aussagen müsse. Eben jenes aber habe er dann augenscheinlich akzeptiert, nachdem er aufgeklärt worden sei. Zumindest habe er nichts Gegenteiliges bekundet.

 

Nach der Entlassung von Mustafa A. wurde Jan P. (28) befragt, der als Psychologe im Justizkrankenhaus Fröndenberg tätig ist. Jan P. gab an, in der Psychiatrischen Abteilung für psychologische Einzel- und Gruppentherapien zuständig zu sein. Holger P. sei am 13. April 2018 „zu uns auf die Akutstation“ gekommen, er habe im Rahmen von wöchentlichen „Einzelgesprächen“ mit ihm zu tun gehabt. Ziel sei gewesen, Holger P. zu „stabilisieren“. In der Nacht vom 11. auf den 12. April habe dieser nämlich einen Suizidversuch unternommen. Er sei seit längerer Zeit stark depressiv, was sich aufgrund der Aussicht auf eine langjährige Haftzeit im Hochsicherheitstrakt weiter verstärkt habe. Auch die Straftat, für die Holger P. in Haft säße – eine Geiselnahme in Krefeld – sei ein Suizidversuch gewesen. Holger P. habe darauf gesetzt, von der Polizei erschossen zu werden. Er sei seit vielen Jahren drogenabhängig und bekäme in der Haft entsprechende Medikamente.

Holger P. habe sich, so Jan P., am 24. Mai 2018 bei ihm gemeldet und um ein Gespräch gebeten. Er habe Hinweise auf einen geplanten Mordanschlag eines ehemaligen, kürzlich frei gekommenen Mithäftlings auf einen Oberstaatsanwalt. Vom Wehrhahn-Anschlag sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Rede gewesen. Er, Jan P., habe daraufhin – quasi als „Mittler“ – am 25. Mai 2018 den zuständigen JVA-Kollegen (Mustafa A.) informiert , das Gespräch habe dann auch stattgefunden, er selbst habe passiv daran teilgenommen. Holger P. habe dem Kollegen berichtet, er habe am Freitag aus den Medien von der Haftentlassung seines ehemaligen Mithäftlings Ralf S., Angeklagter im Wehrhahn-Prozess, erfahren. Er habe eigentlich nicht über dessen Wehrhahn-Täterschaft und Anschlagspläne sprechen wollen, da er schließlich kein Verräter oder Spitzel sei. Außerdem sei er davon ausgegangen, dass S. ohnehin zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt werde. Aufgrund der Freilassung von S. würde er es jetzt aber als seine Pflicht ansehen, seine Informationen weiterzugeben. Während seiner Zeit in der JVA Düsseldorf habe er sich zumeist mit drei Mitgefangenen im Freibereich aufgehalten – unter anderem mit Ralf S. Aufgrund seiner Tattoos habe S. wohl fälschlicherweise den Eindruck gehabt, er gehöre der rechten Szene an, was aber schon lange nicht mehr zuträfe. Offenbar auf Grundlage dieser Fehleinschätzung habe S. ihm bei einem Hofgang von seiner Täterschaft beim Wehrhahn-Anschlag und seinen Anschlagsplänen gegen den Oberstaatsanwalt berichtet. Nachdem ihm sein Fehler, den Mithäftling P. falsch eingeschätzt zu haben, aufgefallen sei, sei S. auf Abstand gegangen und habe ihn bei anderen Häftlingen schlecht gemacht. Kürzlich, so Jan P., habe Holger P. dem Pflegepersonal gegenüber geäußert, dass er Angst haben würde, insbesondere um seine Familie. Aber dass Holger P. dennoch dankbar gewesen sei, dass er, Jan P., das Ganze ins Rollen gebracht habe. Auf Frage des Vorsitzenden gab der Zeuge an, dass zwischen Holger P. und seinem Kollegen Mustafa A. über ein Zeugenschutzprogramm gesprochen worden sei. Da sei er sich sicher.

 

Nach der Entlassung des Zeugen Jan P. sollte eigentlich der aus der JVA vorgeführte Holger P. als Zeuge vernommen werden. Zunächst aber übergab dessen Zeugenbeistand, Rechtsanwalt Scheuer aus Krefeld, dem Vorsitzenden „mit Einverständnis des Zeugen“ Dokumente, offenbar erwähnte handschriftliche Aufzeichnungen von Holger P. Einer vom Vorsitzenden geplanten und von der Verteidigung unterstützten sofortigen Zeugenvernehmung von Holger P. widersprachen jedoch sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Vertreter*innen der Nebenklage. Für die Befragung des Zeugen sei eine gründliche Vorbereitung vonnöten, schließlich habe es zuvor keine polizeiliche Vernehmung mitsamt Protokoll gegeben, und die gerade eben erst eingeführten Dokumente müssten ohne Zeitdruck bewertet werden. Eine kurze Pause würde hierfür nicht reichen. Letztendlich vertagte die Strafkammer die Vernehmung des Zeugen Holger P. auf den 14. Juni 2018.

 

Der 27. Prozesstag am 11. Juni 2018

 

Am 27. Hauptverhandlungstag war als einzige Zeugin Kathrin D., die ehemalige Ehefrau des Angeklagten, geladen. Begleitet wurde sie von einem anwaltlichen Zeugenbeistand. Ihren Wohnort musste D. auf Antrag nicht angeben. D. bekundete auf Frage des Vorsitzenden, nicht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sondern aussagen zu wollen.

D. bekundete, Ralf S. 2003 im Internet kennengelernt zu haben. Ihr damaliger Freund sei ihr gegenüber gewalttätig gewesen – und Ralf S. habe behauptet, er sei für den „Weißen Ring“ tätig und könnte helfen. Nachdem sie von ihrem damaligen Freund zusammengeschlagen worden sei, habe sie S. kontaktiert und sei erst einmal provisorisch zu ihm nach Ratingen gezogen. Temporär habe sie dann eine eigene Wohnung gehabt, bevor sie in eine gemeinsame zweigeschossige Wohnung gezogen seien, in der sie beide jeweils eine eigene Etage gehabt hätten. 2005 habe sie sich eigentlich von ihm trennen wollen und habe temporär wieder in einer eigenen Wohnung gewohnt. Ralf S. habe sich aber sehr bemüht und versprochen, sich zu ändern. 2006 habe sie ihn geheiratet, am 20. April, darauf habe Ralf S. bestanden. Ihre gemeinsamen Kinder seien 2006, 2007 und 2009 zur Welt gekommen. Die meiste Zeit und bis zur Trennung habe man in Bochum gewohnt, wo sie zeitweise an der Ruhr-Uni studiert habe. Getrennt habe man sich 2012, die Scheidung sei 2016 erfolgt. S. habe immer nach Ratingen zurück gewollt, was er dann nach der Trennung auch gemacht habe. Vorher habe er ohne ihr Wissen die drei Kinder von Bochum nach Ratingen umgemeldet, was ihr große finanzielle Probleme bereitet habe. Das jüngste Kind habe er sogar mit nach Ratingen genommen – während sie für einen Kurzurlaub bei ihren Eltern gewesen sei.

Seit der Trennung sei ihr klar geworden, so Kathrin D., dass Ralf S. sehr planvoll vorgehen könne und gar nicht so chaotisch sei, wie sie immer gedacht habe. Schon vor der Trennung habe er beispielsweise das Jugendamt involviert, um sich Vorteile zu verschaffen. Auch habe er versucht, ihr zu schaden, indem er sie systematisch in schlechtes Licht zu setzen bemüht war. So habe er etwa Fotos von Weinflaschen gemacht, um einen vorgeblichen Alkoholmissbrauch durch sie als Mutter der gemeinsamen Kinder zu inszenieren. „Überall, wo ich hinkam, war er schon vorher, so dass ich keine Macht mehr hatte. Das hätte ich ihm nicht zugetraut.“

Auf die Frage des Vorsitzenden, ob Ralf S. berufstätig gewesen sei, antwortete D. mit „Jein“. Es habe aber immerhin neben kleineren Aufträgen zwei lukrative Großaufträge gegeben. Einmal beim Objektschutz einer stillgelegten Kaserne in Wuppertal, einmal beim Objektschutz der Baustelle ISS Dome. Der Aufbau einer regulären Firma wäre aber schon an Hürden wie Buchführung, Steuern und Sozialabgaben für etwaige Mitarbeiter*innen, die in der Regel schwarz bezahlt worden seien,  gescheitert.

Die Frage, ob Ralf S. Waffen besessen hätte, bejahte D.: „Luftgewehre, Messer, Softair, eine Walther und einen Revolver“. Im einzelnen könne sie aber nicht sagen, ob illegale Waffen dabei gewesen seien. Es habe aber auch scharfe Waffen gegeben. S. habe einen „Bundeswehrtick“ gehabt. Er habe oft entsprechende Kleidung getragen und an Reservisten- bzw. Wehrübungen teilgenommen. Später habe er das einschränken müssen wegen einer Verletzung. Seine Tauglichkeit sei dann herabgestuft worden.

Vom damaligen Tatverdacht gegen Ralf S. hinsichtlich des Wehrhahn-Anschlags habe sie 2004/2005 erfahren. Sie sei von seiner Unschuld ausgegangen. S. habe zum Wehrhahn-Anschlag allerdings „komische Sachen erzählt“. Beispielsweise, dass er – der Nichtkneipengänger und Antialkoholiker – Russen in einer Kneipe kennengelernt hätte, die über ihre Anschlagspläne am Wehrhahn gesprochen hätten. Die Täter seien laut S. also Russen gewesen. Und die Opfer Juden, die von irgendeiner Sprachschule gekommen seien: „Darum sei auch sowohl Brimborium darum gemacht worden.“ S. habe den Verdacht gegen sich als ursächlich für seine beruflichen Pleiten bezeichnet. Komisch habe sie gefunden, so D., dass S. als Messi wirklich alles und jedes gesammelt und von allem und jedem Fotos gemacht habe – nur zum Themenkomplex Wehrhahn-Anschlag habe er offenbar nichts aufbewahrt.

Zuhause hätten sie die Regel eingeführt, so D., dass S. „sein Reich“ im Keller habe, die Wohnung aber sei für die Familie. Zumal sie sich im Haushalt ohnehin um alles alleine habe kümmern müssen. D. äußerte vor Gericht ihren Verdacht, dass S. sein Messi-Gebahren eventuell nur vorgetäuscht haben könnte. „Da könnte man gut Sachen verstecken. Den Keller in Bochum durfte ich nicht mehr betreten.“

Auf Frage des Vorsitzenden zum Verhältnis von Ralf S. zum verurteilten Waffenhändler Herbert L. gab D. an, dass sie L. als sehr netten Menschen kennengelernt habe, der S. auch „öfter mal mit Geld“ ausgeholfen habe: „Zu L. hatte Ralf ein Vertrauensverhältnis.“ Beide seien auch mal gemeinsam wegen räuberischer Erpressung angeklagt gewesen. S. habe zudem mal erzählt, bei L. sei Sprengstoff in dessen Wohnwagen gefunden worden. Irgendwann sei L. dann verschwunden.

Ralf S. habe auch verschiedene Seminare angeboten: im Detektiv- und Security-Bereich, Fahrsicherheitstrainings und auch Seminare zum Schutz vor „Unkonventionellen Spreng- oder Brandvorrichtung (USBV), also Sprengfallen. An eines der USBV-Seminaren könne sie sich gut erinnern, da sie dort mitgemacht habe. Das „Ratinger Tageblatt“ habe darüber in einem Artikel „Die Waffen der Angreifer erkennen“ berichtet. Dabei seien selbst gebaute Bombenattrappen benutzt worden. Es sei darum gegangen, wie diese aufgebaut seien, wo sie versteckt sein könnten (z.B. Riesenböller als Geschenk getarnt) und wie man sie finden könne. Die Attrappen habe S. in seinem Büro gebaut.

S. sei sehr paranoid gewesen, so D. So sei er stets davon ausgegangen, dass seine Telefone überwacht würden. S. habe mal erzählt, er sei ein Jahr lang vom Verfassungsschutz bezahlt worden. Seine Aufgabe sei es gewesen, Bombenverstecke im Wald aufzuspüren. Der VS habe seinen Angaben zufolge auch sein Büro in Flughafen-Nähe bezahlt. S. habe aber sehr viel erzählt, ihr sei unklar, was davon tatsächlich der Realität entsprochen hätte.

Nach den handwerklichen Fertigkeiten von S. befragt, antwortete D., dass S. handwerkliche Aufgaben hinbekommen habe – wenn er das denn gewollt habe. Er habe aber selten gewollt. Schweißen habe er aber jedenfalls gekonnt, da sei sie sich sicher.

Ralf S. habe an Zeitungen eigentlich nur das Annoncenblatt Avis gelesen, an ein Blatt namens „Marktplatz“ habe sie keine Erinnerung, schätze allerdings zugleich ein, dass ihr eine zweiten Annoncen-Zeitung vielleicht auch gar nicht aufgefallen sei, weil Annoncen-Zeitungen nicht selten ein sehr ähnliches Erscheinungsbild hätten.

Die Frage des Oberstaatsanwalts, ob sie Ralf S. als „ausländerfeindlich“ wahrgenommen habe, bejahte D. Anfangs habe er sich noch Mühe gegeben, das zu verbergen, später nicht mehr: „Aber eigentlich hasst er alle Menschen.“ D. berichtete zudem davon, dass S. ein gewalttätiger „Kontrollfreak“ sei. Bei einem „Kontrollverlust“ sei er aggressiv geworden. Einmal habe er eines der Kinder unbeaufsichtigt gelassen, um sie heimlich zu beobachten. Ein anderes Mal habe er mit einem Hammer gegen eine Tür geschlagen. Und wiederum ein anderes Mal habe er seinen Hund gewürgt und mit einem Messer getötet, nachdem dieser zuvor eine Katze totgebissen hatte und sie, D.,  thematisiert hatte, dass sie wegen des Hundes Sorge um die Kinder habe.

Auf Frage des Oberstaatsanwalts, ob Ralf S. ihr nach der Trennung Schulden hinterlassen habe, antwortete D., dass dies tatsächlich der Fall gewesen sei, es habe sich aber um eine geringere Summe gehandelt als bei seiner ehemaligen Freundin Doreen Sch.

Die Frage der Verteidigung, ob sich der Verdacht gegen Ralf S. vorteilhaft für sie im Sorgerechtsverfahren ausgewirkt habe und ob eine Verurteilung von S. für sie von Vorteil sei, antwortete D., das dies im Sorgerechtsverfahren kein Thema gewesen sei: „Erst nach seinem Antrag 2017.“ Sie habe bis zuletzt alles versucht, um den Umgang zwischen ihm und den Kindern zu klären. Das habe nicht funktioniert, auf S. sei kein Verlass. Zunächst habe es einen „betreuten Umgang“ gegeben, dann sei der Umgang für zwei Jahre komplett ausgesetzt worden. Alles sei „ein ständiges Hin und Her“. Für die Kinder wäre eine Verurteilung ihres Vaters wegen 12-fachen Mordversuchs schlecht.

 

Der 28. Prozesstag am 14. Juni 2018

 

Zu Beginn des 28. Hauptverhandlungstages kündigte der Nebenklagevertreter Tobias Degener einen Antrag an, mit dem er die Entpflichtung des Verteidigers Ingo Schmitz wegen einer groben Pflichtverletzung im Amt bewirken wolle. Schmitz erklärte seinerseits, dass das ihm vom Staatsschutzleiter Udo Moll Vorgeworfene inhaltlich falsch sei: „Eine Unverschämtheit, dass Moll behauptet, das wäre ein Versuch der Zeugenbeeinflussung.“ Er habe keineswegs versucht, das KfZ-Kennzeichen der besonders geschützten Zeugin Kathrin D. festzustellen und sei ihr auch nicht mit Ralf S. auf dem Beifahrersitz quer durch die Stadt hinterher gefahren. „Offenbar hat Frau D. eine Art Verfolgungswahn“, so Schmitz. Er habe S. lediglich nach Ratingen fahren wollen. In der Tiefgarage sei er eine halbe Stunde nach Prozessende zufällig auf die Familie D. gestoßen. Ebenfalls rein zufällig sei er dann – nachdem er noch seine elektronischen Nachrichten gecheckt hätte – beim Rausfahren aus der Tiefgarage und beim Rechtsabbiegen auf die B8 hinter das Auto von D. geraten. An der übernächsten Kreuzung sei diese dann rechts abgebogen, während er weiter auf der B8 Richtung Ratingen gefahren sei.

Kathrin D. informierte offenbar Udo Moll über den Vorfall. Allerdings muss der zum Ende der Sitzung eingereichte Antrag von Degener neu formuliert werden, da laut Intervention des Vorsitzenden eine Entpflichtung des den Wahlverteidiger Gerd Hauptmanns vertretenden Ingo Schmitz durch die Strafkammer juristisch nicht möglich sei. Das Thema wird deshalb auf dem nächsten Hauptverhandlungstag erneut auf der „Tagesordnung“ stehen.

 

Als erster Zeuge wurde am 28. Hauptverhandlungstag der derzeitig inhaftierte Zeuge Can B. (52) aufgerufen. Er bekundete, bis vor zweieinhalb Monaten drei bis vier Wochen verschärfte U-Haft zeitgleich mit Ralf S. in der JVA Düsseldorf/Ratingen verbracht zu haben. Danach sei er nach Aachen und anschließend in die JVA Willich verlegt worden. Er habe nach seiner Verlegung keinen Kontakt mehr zu Ralf S. gehabt. Er müsse wegen BTMG-Delikten siebeneinhalb Jahre absitzen. In seiner Düsseldorfer Zeit habe er fünf bis sechs Mal die zur Verfügung gestandene „Freizeit“ („Rauchen, TV, Kaffeetrinken, Kartenspielen“) zusammen mit Ralf und einem Holger, der wegen Terrorismus einsitze und eine Schussverletzung am Bein habe, verbracht. Bevor Holger gekommen sei, sei noch eine arabischstämmige Person in ihrer Gruppe gewesen.

Ralf S. habe berichtet, so B., er sei unschuldig, habe sich aber mit Details zu seinem Strafverfahren  bedeckt gehalten. Er habe mehr über seine Familie gesprochen. Und darüber, dass er früher mal Soldat gewesen sei und im Sicherheitsbereich arbeiten würde. Hin und wieder habe sich Ralf aber über den einen oder anderen Zeugen aufgeregt, mit Aussagen wie „Der kennt mich gar nicht“ oder „wieso erzählt der sowas?“ Details seien ihm nicht erinnerlich. Holger und Ralf hätten sich gut verstanden, es habe „während meiner Zeit“ keinen Streit gegeben. Ralf habe auch nicht schlecht über Holger gesprochen. Er (B.) sei sowohl mit Ralf als auch mit Holger gut ausgekommen. Es sei auch kein Problem gewesen, dass S. nicht gläubig, er hingegen Muslim sei: „Wenn er mich beleidigt hätte, hätte ich eine Antwort darauf gehabt.“ Holger sei früher mal Neonazi gewesen, später dann nicht mehr. Und sei dann noch vor seiner Inhaftierung zum Islam konvertiert. Er (B.) habe sich mit ihm über Religion unterhalten, Holger habe sich gut ausgekannt. Und Ralf habe gewusst, dass Holger Muslim sei.

 

Nach dem Ende der Befragung des Zeugen und einer zweieinhalbstündigen Sitzungsunterbrechung wurde Rechtsanwalt Scheuer, Rechtsbeistand des Zeugen Holger P., aufgerufen. Dieser erklärte, dass Holger P. ihn gegenüber gerade eben bekundet habe, keinerlei Aussagen machen zu wollen. Auf Anweisung des Vorsitzenden wurde P. dennoch in den Zeugenstand gerufen. Fragen beantwortete er nicht, weder zu seiner Person, noch zur Sache – trotz Aufklärung über die Folgen einer Weigerung. Holger P. blieb dabei und wurde für sein Schweigen im Zeugenstand von der Strafkammer mit einer maximal sechsmonatigen Erzwingungshaft belegt, für die seine laufende Haftstrafe unterbrochen und anschließend fortgesetzt wird.

 

Der Prozess wird am 19. Juni 2018 um 9.30 Uhr fortgesetzt.

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